Die Einsamkeit des Barista
rauchen? Warum ist er nur so besessen vom Sex? Ich genieße ihn, die Person, mit der ich ihn mache, genießt ihn, wir sind alle beide fröhlich, haben niemandem ein Leid zugefügt. und das soll dem Papst zufolge Gott nicht gefallen? Aber wie zum Teufel soll das denn möglich sein? Wenn man so denkt, muss man ja zu dem Schluss kommen, dass Gott, vertreten durch den Papst, was gegen uns hat. Das ist doch nicht logisch. Das leuchtet mir nicht ein. Sollten wir nicht eigentlich seine Lieblingskinder sein? Also, wenn mein Sohn mit seinen kleinen Freunden spielen würde, ohne beim Nachbarn die Scheiben einzuwerfen oder dem Großvater die Nerven zu ruinieren, dann wäre ich doch zufrieden. Und wie muss das erst für Gott sein, der sechs Milliarden davon hat! Wenigstens zwei, um die er sich keine Sorgen zu machen braucht.«
Massimo sah die Alten an, die wiederum ihn mit verständlicher Sorge anblickten.
Wenn Massimo sich auf dieses Thema einschoss, war es beinahe unmöglich, ihn aufzuhalten. Einzig eine Atombombe hätte das gekonnt. Rimediotti, ein Optimist von Natur aus, versuchte ein Ablenkungsmanöver, indem er laut aus der »Gazzetta« vorlas: »›Urca, dieser Gourcuff. Dribbling und Klasse im Scheinwerferlicht der Weltmeisterschaft. Über das junge französische Talent besteht Einigkeit.‹ Habt ihr schon gesehen, wie dieser Kerl spielt? Sieh mal, gestern hab ich …«
Massimo setzte sich und hing seinen Gedanken nach, während sein parasympathisches System dem Körper weitere Befehle erteilte, die großen Flaschen hinter die kleinen zu stellen. Wie immer, wenn man sich auf Diskussionen dieser Art einließ, war sich Massimo im Klaren darüber, dass niemand seine Meinung zu dem Thema ändern würde.
Das machte Massimo wütend: feststellen zu müssen, dass es schwierig ist, die Meinung von Menschen zu ändern, auch in den seltenen, überaus seltenen Fällen (zu denen dieser nicht zählte), in denen man hundertprozentig recht hat. Oder besser: feststellen zu müssen, dass die Leute bei bestimmten Themen nicht in der Lage sind, ihre Meinung zu ändern, weil sie nicht bereit sind, darüber nachzudenken. Ernsthafte, direkte Fragen zu stellen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, die möglicherweise einen großen Teil der Welt infrage stellen, in der man bisher gelebt hat. Über einige Themen – allen voran Religion und Politik – wollen viele Menschen schlicht und einfach nicht nachdenken, weil sie Angst haben.
Angst, herauszufinden, dass die Gewissheiten, auf die sie sich immer verlassen haben, in Wirklichkeit keine Bollwerke der Wahrheit sind, sondern kleine, armselige Dogmen, die von Menschen aufgestellt wurden, die unter moralischem Zwergenwuchs litten, die wundervolle Botschaften voller Hoffnung, wie diejenige von Jesus Christus, nahmen und sie auf Regeln reduzierten, auf Vorschriften und Verbote; Kleingeister, unfähig, den Menschen in all der Pracht seiner Intelligenz zu erkennen, und die nur darin gut waren, den eigenen Bischofsstab den Rädern des Fortschritts in die Speichen zu werfen.
Und anstatt dann vor Wut zu explodieren, wenn ihnen bewusst wird, dass sie von diesen Steuerberatern der Seele ganz gewaltig verschaukelt worden sind, und sich mit einem Tritt in den Allerwertesten von ihnen zu befreien, um endlich das zu tun, was Christus wirklich gesagt hat, haben viele Leute Angst. Angst, eine Religion loszulassen, die häufig reine Gewohnheit ist und die gerade deshalb Sicherheit bietet. Angst, nach denselben fehlerhaften Kriterien von ihren Bekannten verurteilt zu werden. Angst, gerade darin einen Irrtum zu begehen, indem man denkt, sich vorher geirrt zu haben – im Grunde also der Gedanke: wer bin ich schon, über eine Religion zu urteilen –, und folglich Angst davor, sich einem Antidot anzuvertrauen, das schlimmer sein könnte als das Übel.
Angst, sich zu irren.
Massimos Gedanken begannen abzuschweifen.
Ich verstehe nicht, was so beschämend daran ist, sich zu irren. Irren ist menschlich. Ein Experte ist jemand, der auf seinem Gebiet alle möglichen Fehler gemacht hat und sich an jeden einzelnen davon erinnert. Man wächst an seinen Irrtümern. Warum kann einer zugeben, dass er einen Fehler machen kann, wenn er einen Kuchen backt, und hält sich gleichzeitig für unfehlbar, wenn er die Handlungen der Menschen aus der Perspektive Gottes beurteilt? Oder besser gesagt aus einer Perspektive, zu der er sich als menschliches Wesen eigentlich nicht so mühelos aufschwingen können
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