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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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ihrer Stirn und ihren rasenden Herzschlag.
    Sie verlor beinahe das Gleichgewicht, als sie aufstand und zum Küchenfenster ging.
    Draußen war es ruhig. Bresecke war schon unterwegs, um Brötchen zu holen. Sein Wartburg würde in den nächsten zehn Minuten knatternd wieder in die kleine Straße einbiegen. Alle anderen, so auch Krömer und der Polizist, blieben heute daheim. Es war Samstag, und gegen neun würden sie alle wie auf ein unsichtbares Kommando lautstark beginnen mit Sägearbeiten, dem Rasenmähen und mit Autoreparaturen bei unablässigem Betätigen des Anlassers. Die Gärten hätten nach der Winterpause ihre Pfleger wieder.
    Rebekka träumte oft und kannte das Gefühl der Erleichterung, wenn ein schlechter Traum sie aus seinen Fängen in den Tag und das Leben entließ. Diesmal stellte sich das Gefühl nicht ein. Die Schläge der Baseballschläger gegen die Geländersprossen waren ein Klopfen gewesen, nah genug an ihrem Ohr, fern genug in ihrem Traum.
    Rebekka setzte sich an den Küchentisch und atmete tief durch, bis sich ihr Herzschlag wieder normalisiert hatte. Sie zog ihre Laufklamotten an und verließ den Garten durch das hintere, etwas versteckte Tor, das auf den Acker führte. Hier lief sie ein paar Runden zur Musik von Style Council , und die morgendliche Nieselkälte erfrischte ihre Haut wie eine nährende Gesichtsmaske. Ein paar Mal legte sie einen Sprint ein, der jeden Außenstehenden zum Lachen gebracht hätte, doch sie mochte diese Strecke, weil es dort eben niemanden gab, der sie beobachtete. Selbst Helmut Fauls Spionagebereich schien vor dem Acker zu enden, auf dem statt Gras nur gummiartiges Kraut wuchs, seit dort zu DDR-Zeiten Armeelaster geparkt worden waren.
    Unter der Dusche verdrängte sie den Gedanken an ihren Traum und ließ den vergangenen Tag Revue passieren, um sich alle Details noch stärker einzuprägen. Die Tür der Kabine stand wie gewohnt offen. Allein der Dampf hätte Rebekka sonst die Luft zum Atmen genommen. Die Anfälle nahmen in letzter Zeit wieder zu. Sie würde sich nie einer Therapie unterziehen. Der Gedanke, einem Fremden aus ihrem Leben zu erzählen, schnürte sie ebenso ein wie die Platzangst selbst. Das Medikament, das ihr die verhasste Therapie ersetzte, bekam sie direkt aus dem Giftschrank eines Arztes in der Friedrichstraße, der seine Praxis in einer ehemaligen Plattenbauwohnung untergebracht hatte. Er fragte Rebekka nicht viel. Er mochte sie einfach. Und er mochte die kubanischen Zigarren, die sie ihm bei ihren regelmäßigen Besuchen in die Hand drückte. Er trug einen weißen Kittel, der über seinem Bauch spannte, den er liebevoll sein »Feinkostgewölbe« nannte, und er lachte einen rasselnden Raucherhusten, wenn er Rebekka nach ihrem Befinden fragte. Die letzte Ration Sertralin ging zu Ende, und ebenso groß wie ihre Angst vor dem falschen Moment einer Panikattacke war Rebekkas Befürchtung, das Medikament könnte ihr ausgehen, wenn sie nicht in der Nähe ihres Arztes war.
    Gedankenverloren trocknete sie ihr Haar und schaute dabei in den Spiegel. 41 Jahre war sie alt und konnte bereits leben, als hätte sie ihr Werk vollbracht oder zumindest in finanzieller Hinsicht vollendet. Kleine Lachfalten umspielten ihre Eulenaugen und ihre vollen Lippen, Sommersprossen waren mit den ersten Sonnenstrahlen in ihr Gesicht zurückgekehrt und überdeckten Augenringe aus einigen schlaflosen Nächten. Nach dem ersten Anfall hatte sie wieder zu dem rettenden Medikament gegriffen und die Nebenwirkung, die ihr häufig weiße Nächte bescherte, in Kauf genommen.
    Sie trocknete sich ab und ging kurz nach draußen, nur mit einem Bademantel bekleidet. Die Männer, die hier wohnten, liefen das ganze Jahr über oben ohne in Turnhosen durch ihre Gärten, daher spürte Rebekka schon lange keine Scham mehr, in Badeklamotten vor die Tür zu gehen. Sie nahm ihre Zeitung aus dem Briefkasten und freute sich beim Blick auf die umfangreiche Wochenendausgabe auf die Lektüre über Politik, Kultur, Berlin und Reisen bei einigen Tassen Kaffee.
    Rebekka zog einen weißen Wollbikini an, der unter der weißen Rüschenbluse ein schönes Dekolleté machte, stieg in eine weiße Caprihose mit dünnen blauen Streifen und senffarbene Ballerinas. Drei Tropfen Paul Smith -Herrenparfüm, dann – eins, zwei, drei, vier, fünf – alles

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