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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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Recyclingfirma und pinnte die Karten dann nebeneinander. Einen Moment hielt sie inne und ließ das Puzzle aus 19 rosa Vierecken auf sich wirken.
    Sie stellte ihren Laptop auf die Kommode und klappte ihn auf. Frau Mischke hatte sofort und ungefragt erwähnt, dass Karl-Heinz Otto schon zu DDR-Zeiten bei der SERO angestellt gewesen war. Und wie sie aus Milchmeyers Rede erfahren hatte, war er bis in die Forschung aufgestiegen.
    Warum dann dieser jämmerliche Tod an der Werkbank bei den Metallabfällen?
    Die Firmengeschichte las sich wie ein Lehrbuch der jüngeren deutschen Geschichte, die im Osten begann und im Westen endete. Früher ein großes staatliches Unternehmen, war die SERO in viele kleine Müllsammelstellen aufgegangen und als Ostmüllhalde ein willkommenes Begrüßungsgeschenk für den neuen Nachbarn geworden. Die Firma Recycling, Verschrottung und Co. war eines der neuen Unternehmen, wie Rebekka in alten Spiegel -Artikeln im Internet nachlesen konnte.
    Sie trug einen Punkt nach dem anderen in die Tabelle ein und speicherte sie nach jedem Eintrag sofort ab.
    Siegfried Milchmeyer – Rebekka vermutete den Vater des jungen Firmenchefs hinter diesem Namen – hatte die Firma kurz nach der Wende aufgekauft und ausgebaut. Thorsten Milchmeyer drückte sich auf der Schultoi­lette wahrscheinlich noch seine Wutpickel aus, während sein Vater schon den Verbrennungsofen für das große Geschäft anheizte. Mittlerweile war der alte Mann im Ruhestand, und sein Sohn hatte übernommen.
    Auf der Beerdigung hatte sich Thorsten Milchmeyer der Familie gegenüber auffallend respektvoll verhalten, hatte eine Wärme gezeigt, die für Männer seines Alters und seiner Position ungewohnt und irgendwie professionell war. Oft wuchsen junge Männer in eine Karriere hinein, die ihnen ein Vater wie ein eingetretenes Paar Schuhe hingestellt hatte und die ihnen von vornherein eine Nummer zu groß, in seltenen Fällen eine Nummer zu klein, in fast allen Fällen aber unpassend waren. Schuhe, in denen das Laufen so schmerzte, dass es sich nur mit zusammengebissenen Zähnen ertragen ließ. Um den Schmerz nicht zu zeigen, legte sich ein solcher Junge oft eine arrogante Haltung gegenüber seinen Angestellten zu. Nicht so Thorsten Milchmeyer. Seit drei Jahren regelte er die Müllgeschäfte seines Vaters. Seit zwei Jahren häuften sich Todesfälle in seiner Firma. Thorsten Milchmeyers Freundlichkeit war Programm, vermutete Rebekka. Er hatte Karl-Heinz Otto auf eine Art gelobt, die sich eine Nuance zu hymnisch anhörte für einen Mitarbeiter, der kurz vor seiner Pensionierung stand. In drei Jahren, mit 62, wäre Karl-Heinz in Rente gegangen. Das war der Deal gewesen. Seine 45 Jahre Einzahlung in die Rentenkasse wären vorüber gewesen, und er hatte zu viele Leute um sich herum zu früh sterben sehen, um auch nur einen Tag zu lang zu warten, bis er endlich sein Leben genießen würde. ›Bücher, Kunst und Reisen‹ hätten auf seiner ›Rentenagenda‹ gestanden, hatte Milchmeyer an einer weniger eloquenten Stelle seiner Trauerrede verraten. Wobei die Betonung auf ›Kunst‹ lag, als ob Bücher und Reisen sowieso in einen Rentneralltag gehörten und erst die Kunst sie zu einem erwähnenswerten machte.
    Noch wusste sie nicht, woran Karl-Heinz Otto gestorben war, sie konnte weiterhin nur vermuten, dass er ermordet worden war. Sie hatte einen Fehler gemacht, hätte sich bei den Ottos nach der Todesursache des Vaters erkundigen müssen. Das hätte ihr in zweierlei Hinsicht weitergeholfen. Erstens wäre dann klar, welche Todesursache die Familie verbreitete und was auf dem Totenschein stand. Zweitens interessierte einen so etwas als gute Bekannte. Aber es schien niemandem aufgefallen zu sein, und nachholen ließ sich die Frage nun bei jeder Gelegenheit, ohne Wunden aufzureißen. Ihr bevorstehendes Treffen mit Ulrike wäre eine solche.
    Sie schloss die Google -Seite und öffnete Facebook . Neben seinem Namen leuchtete der Grüne Punkt. Andrew Cascone aus Chicago war online, und Rebekka spürte das vertraute Kribbeln, als das Chatfenster mit seinem kleinen Profilbild im selben Moment aufging.

    How are you?
    Ausgezeichnet. (Die Amis fragen eh nur so dahin, da kann ich mir die wahre Antwort sparen.)
    Was ist die wahre Antwort? (Ich kann lesen, was sie in Klammern schreibt, das weiß sie

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