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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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russisch, rechts deutsch, bei ihm standen links die Einnahmen an Flaschen, Gläsern und Zeitungen und rechts die viel höheren Beträge als das, was er mir dann in die Hand drückte. Wo sind die Typen alle abgeblieben? Wo arbeiten die heute?«
    Â»Schau dich um«, sagte Ulrike aufgeregt, »sind alle wieder untergekommen. So wie das ganze DDR-Altstoffsystem in privaten Westfirmen untergekommen ist, sind auch die Typen wieder am Start. Früher beim Altstoff, heute in irgendeiner Behörde, wo du erneut auf einen von denen angewiesen bist für deine paar Kröten.«
    Â»Damals jedenfalls waren mir der Typ und sein Beschiss egal. Ich wollte eh nur noch weg, nur noch raus aus seiner miefigen Bude. Das muss der Moment gewesen sein, in dem ich verstand, dass es einzig und allein ums Loswerden der Dinge ging, damit sie wieder verwendet werden konnten, ums Recycling in seiner Urform und um nichts sonst. Es sollte mich wundern, wenn Jörn damals Geld mit Altstoffen verdient hätte.«
    Rebekka erhob sich, um nach einem Kellner zu schauen und dabei Zeit zum Überlegen zu gewinnen. Sie musste den Türöffner zur Firma finden und dort mehr über die Arbeit des Vaters zu erfahren. Deshalb war es nötig, zuerst mehr über Ulrike zu erfahren. Sie winkte dem Barkeeper und setzte sich wieder.
    Â»Was war das für eine Geschichte mit deinem Schlaganfall?«
    Der Barkeeper, der diese ruhige, samstägliche Mittagsschicht allein absolvierte, schlurfte heran und musste sich notieren, dass die beiden Frauen zwei Milchkaffee, zwei Buletten mit Gurke und Senf und zwei Becks wünschten.
    Ulrike wandte sich kopfschüttelnd wieder Rebekka zu.
    Â»Das ist mir auf der Arbeit passiert. Ich bin einfach umgekippt. Habe das Bewusstsein verloren.« Ganz plötzlich begann Ulrike zu lachen. »Stell dir vor, du hättest in der DDR mal einfach so das Bewusstsein verloren. Dann direkt …«, sie machte die Handbewegung für ein startendes Flugzeug, »Hohenschönhausen.«
    Â»Dort war eure Mutter, nicht wahr?«
    Â»Woher weißt du das?«
    Ulrike musterte sie eindringlich.
    Rebekka legte ihre Hand beruhigend auf Ulrikes Arm.
    Â»Ich kam mit eurem Pfarrer ins Gespräch. Nach der Beerdigung.«
    Â»Hat dir der Pfaffe seine Geschichte vom Widerstand in der DDR erzählt? Und was meine Mutter und mein Vater für tapfere Kämpfer waren, nicht zu vergessen, er selbst?«
    Ulrike schüttelte Rebekkas Hand ab und verschränkte trotzig die Arme.
    Â»Warum bist du so wütend? Seit wir uns kennen, spüre ich eine andauernde Wut in dir. Sag mir, wenn es mich nichts angeht, aber ich habe den Eindruck, wie verstehen uns gut genug und können unsere Wahrheiten vertragen …«
    â€¦ die natürlich keine von uns beiden jemals aussprechen wird.
    Mit einer abfälligen Armbewegung tat Ulrike die Bemerkung ab und signalisierte, dass das Thema für sie beendet war.
    Â»Mein Chef hatte mir nach dem Tod meines Vaters bis zur Beerdigung freigegeben. Aber ich wollte das nicht. Ich konnte einfach nicht zu Hause hocken. Was hätte ich denn getan? Die Decke angestarrt? Oder den Fernseher? Dort dann Assieltern dabei beobachten, wie sie ihren aufgeblasenen, gepiercten Rotztöchtern was von ›gemeinsamen Unternehmungen‹ erzählen? Um dann beruhigt mit dem Gedanken ins Bett zu gehen, dass ich zum Glück keine Assieltern hatte? Um dann zu merken, dass ich jetzt gar keine Eltern mehr habe? Nee. Dann lieber arbeiten.«
    Sie rieb die Hände aneinander. Rebekka bemerkte die gerötete Haut.
    Â»Milchmeyer hatte schon den richtigen Riecher, als er mich aus dem Verkehr zog. Ist überhaupt ein cooler Typ.«
    Â»Moment mal«, Rebekka stutzte, »Milchmeyer? War das nicht der Chef deines Vaters?«
    Â»Ja, den hast du doch gestern kennengelernt.«
    Â»Kennengelernt ist der falsche Ausdruck. Aber dass ihr euch kennt, fiel mir gar nicht auf.«
    Ulrike schmunzelte.
    Â»Weil er ein viel zu hübsches Kerlchen ist und schon genug angehimmelt wird.«
    Ulrike legte den Kopf schräg und schaute Rebekka aus funkelnden Augen an.
    Â»Ist genau mein Fall. Deiner nicht auch?«
    Thorsten Milchmeyer war Rebekkas Fall, allerdings spürte sie instinktiv, dass genau das die Antwort war, die Ulrike nicht vertragen würde.
    Milchmeyer war Rebekkas Typ Mann. Und in Momenten, in denen sie so eine Entscheidung traf, waren das Alter des Mannes oder auch

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