Die Einsamkeit des Chamäleons
zurückkehren konnte, an ihren Schreibtisch am Fenster und später in ihr gemütliches Wohnzimmer vor den Fernseher.
Sie schaute sich in Fauls Wohnzimmer um. Auch nach Jahren war hier noch alles unverändert. Sogar die gleichen Kunstblumen standen noch auf dem Fensterbrett, und das hier, wo man keinen Blumenladen brauchte, um frisches Grün und Bunt in die Vase zu stellen. Der einzige Platz an der Wand, an dem kein Bild hing und vor dem kein Schrank stand, war die Durchreiche zur Küche. In den Rahmen Drucke klassischer Gemälde, und auch davon nur jene, die in einer Million ähnlicher Haushalte hingen. Der Mann mit dem Goldhelm, Mona Lisa und Dürers Hase hingen hier neben gepressten Blüten, drei verschiedenen Jahreskalendern aus drei verschiedenen Jahren und dem unvermeidlichen Barometer. Ulla Bresecke würde weniger hochmütig urteilen, wenn sie es hier nicht mit Leuten zu tun hätten, die nichts Besseres verdient hatten.
»Was hatte sie eingegraben?« Ulla Bresecke stellte die Frage, die in ihrer Rolle stand.
»Zeig ich Ihnen gleich.«
Ãber die Höflichkeitsform waren sie noch nicht hinaus, was ein gutes Zeichen war und der Höflichkeit entsprach, in der sie miteinander umgingen.
»Erika!«
Nun nahm Ulla Bresecke erstmals auch Helmut Faul wahr, zumindest eine Reaktion von ihm. Er hatte die ganze Zeit am Tisch gesessen und das Neue Deutschland gelesen. Diese Provokation gehörte zu ihm wie Hosen aus Polyethylen und kleinkarierte Hemden.
Er legte die Zeitung zur Seite und schaute erst seine beiden Besucher an wie Eindringlinge, dann wieder seine Frau.
»Was redest du denn da?«
Für Frau Faul schien ein Moment gekommen zu sein, auf den sie seit Langem gewartet hatte. Und aus genau diesem Grund, diesem Warten auf einen Moment, der sie aus ihrem farblosen, lieblosen und eigentlich völlig überflüssigen Leben an der Seite dieses Mannes herausholen würde und dabei doch nur eine Millisekunde ihrer Lebensspanne ausmachte, wollte Frau Faul Besucher bei sich haben. Ulla Bresecke und ihr Mann, der lustlos auf einem trockenen Stück Kuchen herumkaute und unwirsch auf die Uhr schaute, waren ihr Publikum.
»Mit der da drüben stimmt doch was nicht.«
Frau Faul warf erst einen vielsagenden Seitenblick aus dem Fenster auf das Haus gegenüber und dann auf ihren Mann, als müsse sie sich seiner Erlaubnis zum Weiterreden vergewissern. Er legte die Zeitung beiseite und schaute aus seinem Sessel zu seiner Frau auf, die wie eine Galionsfigur am Tischende thronte. Nun hatte sie auch seine Aufmerksamkeit. Sie schien seit Längerem daran gearbeitet zu haben, die fleckige Bluse und der strenge Körpergeruch lieÃen Ulla Bresecke darauf schlieÃen, dass Frau Faul ihre festliche Kleidung seit Beginn ihrer Mission noch nicht wieder abgelegt hatte.
»Das ganze Gegenteil vom alten Schomberg«, hörte Ulla Bresecke Faul sagen und musste würgen, was nicht an dem trockenen Kuchen lag. Sie lieà Augen und Mund geschlossen, um nicht den Fehler einer falschen Bemerkung zu machen, die alles beenden würde.
»Das war noch einer von den Ãberzeugten, nicht den Mitläufern.«
Es war nicht herauszuhören, von welchem der beiden zurückliegenden Reiche ihr Nachbar sprach, und das war auch egal, denn es traf auf das eine wie auf das andere zu, wie Ulla Bresecke wusste. Da Helmut Faul selbst einen Ulbricht und später Honecker an der Wand gehabt hatte, waren er und Schomberg sich häufig in der dünnen Luft auf dem Gipfel des Bonzentums begegnet, damals, in diesem Land, dem Helmut Faul bis an sein Lebensende nachtrauern würde.
Ulla Breseckes Erinnerung an das Gespräch mit Rebekka Schomberg über ihren GroÃvater war schmerzhaft. Tapfer öffnete sie die Augen und schaute direkt hinein in Frau Fauls fragenden Blick.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Ihr Mann griff schnell nach ihrer Hand. »Was ist mit dir?«
»Alles bestens«, sagte Ulla Bresecke freundlich und wandte sich wieder der Gastgeberin zu. »Weiter im Text. Sie wollten uns etwas zeigen.« Dabei wollte sie nichts lieber, als wieder in der Sicherheit ihres Hauses zu sein.
»Das hier«, Frau Faul hielt einen Computerstick in die Höhe wie eine soeben konfiszierte Mordwaffe, »ist ein Schtick. Den steckt man in einen Computer, um sich Filme anzuschauen oder auch nur die eigenen Unterlagen«, wieder ein vielsagender Blick zu ihrem Mann,
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