Die Einsamkeit des Chamäleons
letztes Mal getan zu haben. Die Fauls waren Exemplare einer längst überholten Zeit und ihre Selbstgefälligkeit unerträglich. Aber sie waren eben auch Nachbarn in einer Gegend, in der sie gern lebte. Ruhestand, Schreibtisch am Fenster im ersten Stock des Hauses, das ihnen gehörte, Blick ins Grüne, Gedanken, die schweiften. All das war der Ausgleich dafür, neben diesen Giftzwergen wohnen zu müssen. Und da war diese junge Frau, Rebekka Schomberg, mit der sie auf einer Wellenlänge war, wenn sie redeten. Es war Ulla Bresecke nicht entgangen, dass ihr Nachbar ständig um das Haus der Frau herumschnüffelte. Bereits in ihrer Zeit als Journalistin hatte Ulla Bresecke erkannt, dass ein Kaffeetrinken mit solchen Leuten wie den Fauls einen ganzen Tag Recherche im blutleeren Raum eines Zeitungsarchivs ersetzte. Dass Frau Faul Interesse an einem Gespräch mit ihr hatte, bedeutete zwar nichts Gutes, weckte in Ulla Bresecke allerdings ihre verloren geglaubte Neugier.
»Die hatte dort etwas eingegraben! Auf dem Friedhof! Ins Grab ihrer Mutter!«
Ulla Bresecke hob die Augenbrauen. Ging es hier um Rebekka Schomberg?
Frau Faul bebte innerlich, wirkte äuÃerlich aber kompakt und gefasst wie immer.
Ulla Bresecke lehnte sich entspannt zurück. Dieser Vormittag hielt also tatsächlich eine Ãberraschung bereit.
Frau Faul hatte sich herausgeputzt. Sie trug einen grünen Samtrock zu einer blutroten Bluse, die neben einer Perlenkette auch einige Flecken zierten, und war viel zu festlich für den grauen Tag gekleidet. Ãber allem schwebte ein schier unerträglicher Geruch, eine Mischung aus ungewaschener Haut und schwerem Parfüm.
Der Kaffee schmeckte bitter, der Kuchen war trocken, doch das Panoptikum der beiden Fauls, zu denen sich nun auch noch Ulla Breseckes Mann gesellte, begann sie mehr und mehr zu interessieren.
Rebekka Schomberg war eine vermögende Frau. Faul war hinter dem Geld her, was sein simples Gemüt wahrscheinlich neben zahllosen Goldbarren unter ihrer Matratze vermutete. Dieses Brummeln, das ständig von Faul ausging wie von einem angelassenen Auto, das hatte ihr Mann nun auch schon übernommen. Und aus diesem Brummeln erfuhr Ulla Bresecke Stück für Stück alles, was sie ihre Nachbarin Rebekka Schomberg auch hätte fragen können.
Rebekka hatte sich ihr einmal anvertraut, sagte, sie fühle sich beobachtet. Ulla Bresecke hatte damals nichts zu erwidern gewusst, bis sie die Geschichte von Rebekkas GroÃvater erfuhr. Rebekka hatte sachlich, beinah abgeklärt geschildert, wie schamlos Erich Schomberg die Freundschaft eines französischen Tüllfabrikanten ausgenutzt und sich schlieÃlich am Vermögen der beim Massaker von Tulle ausgelöschten Familie bereichert hatte. Ulla Bresecke hatte von vornherein gespürt, dass Rebekka ihr all das aus einem bestimmten Grund erzählte. Sie selbst war Journalistin gewesen und in ihrem Berufsleben nicht nur einmal auf Minen getreten, die im Boden der DDR-Geschichte verscharrt waren. Und die Schuld einiger der Funktionäre, die sich als antifaschistische Widerstandskämpfer hatten feiern lassen, war eine der Minen. Sie hatte ihre Nachbarin nur wenig beruhigen können. Die Geräusche am Haus, das Gefühl, verfolgt zu werden, brachte Rebekka nun mit einer Möglichkeit in Verbindung, die nicht von der Hand zu weisen war: dass es sie tatsächlich gab, die Geister totgeschwiegener Verbrechen, den Sog des Bösen, das da drauÃen war und um nichts in der Welt an seiner Geschichte gerührt wissen wollte.
Und nun saÃen hier diese Nasen um sie herum und fragten sich, nach Neuigkeiten in ihrem abgestandenen Leben gierend, woher die Rothaarige wohl vor ein paar Wochen zurückgekommen war, weil Bikinis auf der Leine vor dem Küchenfenster hingen, und das mitten im Winter. Wie viel es wohl kosten müsse, so viel zu reisen und wovon die Frau wohl lebe, woran ihre Mutter eigentlich gestorben war und was die wohl zu alledem sagen würde. Und dass der Schomberg in Köpenick nun fast 100 sein müsste, sicher tot war und nie hierher eingeladen worden war.
Für Ulla Bresecke war es kaum auszuhalten, von zwei so alten Männern umgeben zu sein, die wie Autos klangen und ihr nun auch noch gegenübersaÃen, und von einer Frau, die sie bei aller Toleranz nicht als Geschlechtsgenossin betrachten wollte. Doch sie wusste, dass sie schon bald wieder in ihre kleine Welt
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