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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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diesmal mit einer Spur von Überlegenheit darin, »Kontodaten, Briefwechsel, alles, was man aufheben, aber nicht mit rumschleppen will. Und«, sie klappte einen kleinen Laptop auf, der auf der Anrichte stand und dort hin passte wie ein Windrad in ein Gemälde von Pieter Breughel, »… was man in Sicherheit wissen will.«
    Nun konnte sie sich der Aufmerksamkeit aller sicher sein.
    Auf dem Bildschirm erschienen die üblichen Fragen nach Sicherheit und Art der Datei, die man zu öffnen wünschte. Frau Faul bediente den kleinen Kasten, als hätte sie nie etwas anderes getan. Selbst ihr Mann hob anerkennend die Augenbrauen.
    Â»Und nun«, ein schwarzes Viereck baute sich auf und am unteren Rand eine Menüleiste zum Starten eines Filmes.
    Â» Play !«, juchzte Frau Faul und setzte sich zu ihrem Mann auf die Sessellehne.
    Die Qualität der Aufnahme war gut genug, auch in der Dunkelheit die Gestalt eines Mannes vor Rebekka Schombergs Haus zu erkennen. Die Anstrengung, sich zu strecken, um durch das Badezimmerfenster in die Duschecke blicken zu können, war ihm anzusehen. Mit einer Hand hielt er sich am Fensterrahmen fest. Mit der anderen rieb er an seinem Hosenstall mit immer schneller werdenden Bewegungen. Die Kameraaufnahmen waren von bestechender Qualität, wie Ulla Bresecke anerkennend feststellte, sogar die Polyethylenhose und das kleinkarierte Hemd waren bestens zu erkennen.
    Als sie sich erhob, um zu gehen, ließ Ulla Bresecke zwei Männer zurück, die in ihrer Sprachlosigkeit zu Wachspuppen geronnen schienen, und eine Frau Faul, deren zufriedenes Lächeln sie von einer Minute zur anderen in eine andere Liga katapultierte.

Kapitel 32
    Sie hatte noch eine gute Stunde Zeit und lief über den Alten St. Matthäus Kirchhof , den Friedhof, auf dem die Särge der Gebrüder Grimm unter haufenweise Fanpost lagen und ein Gedenkstein an Stauffenbergs erste Ruhestätte nach seiner Hinrichtung erinnerte. Auch die Berliner AIDS-Hilfe hatte den meist jungen Männern und Frauen hier einen berührenden Ort geschaffen, an dem man sich an die erinnerte, die in ihrem Leben nur wenig Zeit hatten, um zeitlose Spuren zu hinterlassen. Rebekka ging über den Friedhof der Sternenkinder , setzte sich auf eine Bank und schaute zu, wie sich Windspiele in einer leichten Frühlingsbrise bewegten. Auf manchen der kleinen Gräber waren noch die Weihnachtskugeln an den Zweigen, die nun nach dem Frost zartes Grün entwickelten. All die Liebe, die den kleinen Gräbern anzusehen war, war eine verlorene, eine, zu der es gar nicht erst gekommen war, Liebe, die nicht gegeben werden konnte, weil der Tod mal wieder gesiegt hatte und die Liebe nun auch draußen vor seinem Tor stehen ließ – in Form von Fähnchen, Matchboxautos. Teddys und Briefen.
    Sie schaute auf die Uhr, noch eine halbe Stunde war Zeit bis zu ihrem Termin mit Milchmeyer. Sie lief zum Haupteingang hinunter zum Café Finovo , versteckt hinter einer mit Efeu bewachsenen Hauswand. Sie betrat den Vorraum, in dem Kinderspielzeug lag und ein Schaukelpferd stand, sich Stapel von Zeitschriften türmten und eine Tür in einen kleinen Raum mit Tischen und Stühlen neben einer hell erleuchteten Küche führte. Sie bestellte sich ein Stück Tränenkuchen mit Quark und einen Kaffee mit einem Schuss Rum bei einem freundlichen, dread­lockigen Mädchen, das dort allein war.
    Â»Ich bring’s nach draußen«, sagte die Kleine, und Rebekka bedankte sich beinah überschwänglich, so wohl fühlte sie sich hier in diesem Café Endstation.
    Lange hatte Rebekka an der Inszenierung ihres Besuches bei Milchmeyer gebastelt. Als sie nun so kurz davor war, überkam sie das Gefühl, dieses Theaterstück nicht geprobt zu haben und nun völlig unvorbereitet vor dem Publikum auf der Bühne zu stehen. Hastig trank sie den Kaffee aus, spürte den Rum sofort durch ihren Körper rauschen, und aß den Kuchen viel zu schnell, ohne ihn wirklich zu genießen. Sie legte einen Schein auf den Tisch und verließ den Friedhof. Die Idylle dieses Ortes mit seinen fröhlichen Gräbern voller Schmerz hätte sie sonst die Zeit vergessen lassen.
    Das Büro von Thorsten Milchmeyer erinnerte Rebekka an die aufgeschlagene Elle Decoration , die im Vico House auf ihrem Schreibtisch lag und Rebekka die Illusion vermittelte, irgendwann doch eine eigene Wohnung zu beziehen und diese nach ihrem Geschmack

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