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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung.

Titel: Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Erzählung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Sillitoe
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sagte ich.

      »Guter Junge. Gut, der Mann. Der richtige Geist. Glänzend! - Also«, sagte der Direktor, »hol uns heute den Pokal, und ich werd alles für dich tun, was ich kann. Ich laß dich von jemand trainieren, daß du jeden Läufer der freien Welt in die Tasche steckst.«

      Und ich sah das Bild im Geiste vor mir, wie ich renne und jeden auf der Welt schlage, sie alle hinter mir lasse, bis nur noch ich ganz allein über ein großes, weites Moor trabe, in großartigem Tempo zwischen Felsblöcken und Riedflecken langzische, bis plötzlich - KRACH! KRACH! - Kugeln mich treffen, die schneller da sind, als irgend jemand rennen kann, abgefeuert von einem Baum aus dem Gewehr eines Bullen, und mir trotz meinem vollendeten Laufen den Wanst aufreißen, und ich fall um.

      Die Glucksbäuchigen erwarteten, daß ich noch was sage. »Danke, Sir«, sagte ich.

    Dann schickte er mich weg, und ich trabte die Stufen der Ehrentribüne runter auf das Sportfeld, denn der große Geländelauf sollte gleich losgehn, und die beiden Teilnehmer von Gunthorpe hatten sich schon beizeiten an der Startlinie aufgebaut und standen bereit, abzugehn wie weiße Känguruhs. Der Platz war in großer Aufmachung: mit riesigen Teezelten ringsrum und wehenden Flaggen und mit Sitzplätzen für Angehörige - leer, weil keine Mutter und kein Vater wußte, was Eröffnungstag bedeutet - und immer noch Jungs bei den Vorläufen über hundert Yards, und die adligen Herrn und Damen spazierten von Stand zu Stand, und die Borstal-BoysBlaskapelle in blauer Uniform; und oben auf der Tribüne die braunen Jacken von Hucknall wie auch unsre eignen grauen Sportsakkos und dann die ganzen von Gunthorpe mit raufgekrempelten Ärmeln. Der blaue Himmel war voller Sonne, und es hätt gar keinen schöneren Tag geben können, und der ganze Bombast war wie aus dem Film›Ivanhoe‹, den wir ein paar Tage davor gesehn hatten.

      »Los, komm, Smith«, rief mir Roach, der Sportlehrer, zu, »wir wollen doch nicht, daß du zu dem großen Wettlauf zu spät kommst, was? Obwohl ich ja behaupte, daß du sie einholen würdest.«

      Darauf pfiffen und maulten die andren, aber ich nahm keine Notiz davon und stellte mich zwischen dem von Gunthorpe und einem Häftling von Aylesham auf, kniete mich hin und pflückte ein paar Grashalme, damit ich unterwegs was zum Katschen hatte. Das war also das große Rennen für sie, die es sich von der Haupttribüne unter einem flatternden Union Jack aus angucken wollten, ein Rennen für den Direktor, auf das er schon gewartet hatte, und ich hoffte bloß, daß er und die übrige glotzäugige Bande fleißig dabei wären, auf mich zu wetten, hundert zu eins auf Sieg, das ganze Geld, was sie in der Tasche hatten, das ganze Gehalt für die nächsten fünf Jahre, und je mehr sie setzten, desto wohler war mir. Denn hier würde ihnen der todsichere Sieger versacken, gerade weil die ihm einen großen Namen verschafft haben, würde untergehen und sich dabei kaputtlachen, und wenn er dran erstickt. Meine Knie fühlten den Druck der kalten Erde, und aus dem Augenwinkel sah ich Roach die Hand heben. Der Junge von Gunthorpe zuckte vor dem Startzeichen, irgend jemand schrie zu früh; Medway beugte sich vor; dann kam der Schuß, und ich war weg.

    Es ging erst einmal um den Platz und dann eine halbe Meile auf einer Straße lang, an der Ulmen standen, immerzu unter Beifallsrufen, und mir war so, wie wenn ich in Führung lag, als wir durchs Tor auf die Allee kamen, obwohl mich das nicht so interessierte, daß ich's nachprüfte. Der Fünfmeilenkurs war mit Kalkfarbenklecksen markiert, die von Torpfosten, Zauntritten, Stämmen und Steinen leuchteten, und alle halben Meilen stand ein Junge mit Wassernasche und Verbandkasten für die, die ausschieden oder schlappmachten. Über den ersten Zaun sprang ich noch so als zweiter, ohne große Anstrengung; und wenn jemand von euch einen Tip fürs Laufen haben will: nur nicht gleich Dampf aufdrehn, und laßt bloß keinen andren Läufer merken, daß ihr aufdreht, selbst dann nicht, wenn's so ist. Beim Langstreckenlauf kann man jederzeit überholen, ohne daß die andren riechen, was man noch drin hat; und wenn man so geschickt an die ersten zwei oder drei ran ist, kann man später einen richtigen Vorstoß machen und die andren alle mit ihrem Dampf in den Schatten stellen, weil man bis dahin ja noch nicht aufdrehn brauchte. Ich lief in einem gleichmäßigen leichten Trab, und bald kam ich so in Rhythmus, daß ich vergaß,

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