Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
wird ihnen zumute sein, wenn sie sich darin umsehen und nichts als einen Wald aus grauem und braunem Beton finden! Wenn ich daran dachte, dass meine Nachkommen, wann immer sie das Licht der Welt erblicken würden, in dieser Stadt lebten, ohne eine Blume zu sehen oder auch nur die Bedeutung dieses Wortes zu kennen,dann hatte ich regelrecht Angst um sie. Ausserdem wollten mich Männer heiraten, die mir überhaupt nicht gefielen. Vielleicht weil ich mir einen jungen Mann wünschte, der ganz anders war als diejenigen, denen ich bisher im Leben begegnet war. Einen jungen Mann, der wie ich diese Stadt liebt und nicht müde wird, an warmen Sommerabenden, wenn der Himmel klar ist und der Mond von hoch oben strahlend auf die Welt herabscheint, ihre Bäume zu zählen. Ich liess meinen Blick in die Ferne schweifen und träumte von meinem unbekannten jungen Mann, der mich begleiten, mit mir Hand in Hand durch die Strassen der Stadt spazieren würde, während wir miteinander plaudern und Erdnüsse knabbern.
Ich leugne nicht, dass ich eines Tages mit einem meiner Arbeitskollegen ausging, zu dem ich eine gewisse Zuneigung empfand. An diesem Tag verliess ich zusammen mit ihm das Büro, und er lud mich ein, mit ihm in einem Gartenlokal ein Sodawasser oder etwas anderes Erfrischendes trinken zu gehen. Ich lehnte ab und sagte, ich würde lieber am Fluss sitzen, beim Wasser, das ziellos dahinfliesst, bis es ins Meer gelangt, und erklärte ihm, dass ich Sodawasser nicht mag. Als ich in den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne seine dunklen Augen unter den geschwungenen Brauen glänzen sah – er war gutaussehend und schlank –, bebte mein Herz. Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn auf die Lippen. Da sprang er empört auf und machte mir heftige Vorwürfe. Er schalt mich, wie ich so etwas in der Öffentlichkeit wagen könne. Dabei war in diesem Moment niemand in der Nähe ausser einem alten Lupinenverkäufer. Ich wurde auch wütend, und wir trennten uns mitten auf dem grossen Platz. Von da an sprach ich nie wieder mit ihm.
Allerdings schenkte mir niemand mehr Aufmerksamkeit, und das führte schliesslich dazu, dass sie mich an diesen mir verhassten Ort brachten. Die völlige Gewissheit, dass ich auf der einen Seite und sie auf der anderen stehen, brachte mir der Tag, an dem ich verschlief, weil ich einen schönen Traum hatte. Ich sah alle Bäume meiner vertrauten Strasse. Sie waren an ihren Platz zurückgekehrt, und alle grünten und blühten, dann trugen sie verlockende Früchte in märchenhafter Form und in den prächtigsten Farben, wie ich sie nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Als die Sonne mir ins Gesicht schien, erwachte ich und merkte, dass ich viel zu spät zur Arbeit kommen würde. Ich stand auf, zog mich schnell an und ging, ohne etwas gegessen oder auch nur, entsprechend meiner Gewohnheit, ein Glas Tee getrunken zu haben, schnellen Schrittes die Strasse entlang, deren Anblick, schmutzig und überfüllt mit Autos und Menschen, mir so vertraut war. Unterwegs merkte ich plötzlich, dass ich vergessen hatte, einen Büstenhalter umzumachen. Ich war beunruhigt und schämte mich und sagte zu mir: Wie dumm von dir, wie kann man so etwas vergessen! Ich überlegte, ob ich umkehren sollte, um den BH umzumachen. Aber dann wäre ich in der Wasserbehörde so viel zu spät gekommen, dass sie mich nicht mehr als anwesend geführt hätten. Deshalb ging ich weiter und dachte: Vielleicht merkt es keiner. Mir war klar, dass ein Umkehren an jenem Tag all das bestätigt hätte, was in der Behörde über mich gesagt wurde – mein Benehmen sei seltsam, und ich bemühte mich nicht um meine Arbeit. Ich blieb ein Weilchen vor einem Schuhgeschäft stehen, hinter dessen Auslage ein grosser Spiegel angebracht war, und schaute mich an. Ich fand, dass mein Busen ein wenig herabhing, sagte mir aber zur Beruhigung, waskönne das schon schaden. Ich setzte meinen Weg fort und dachte über den Büstenhalter nach und über seinen Erfinder; auch darüber, wozu er gut ist. Wie ich mir so darüber Gedanken machte, empfand ich ihn auf einmal als ein komisches, einfach lächerliches Stück Stoff und die Frauen, die darauf bestanden, ihre Brüste jeden Tag da hineinzuzwängen, als dumm. Was ist denn so unanständig an der Brust der Frau? Mit solchen Überlegungen ging ich zur Arbeit.
Nachdem ich ungefähr eine Stunde lang einige der üblichen Dinge erledigt hatte, ging ich ins Büro meines Chefs. Er sollte einige Papiere unterschreiben. Als er seine
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