Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
blutbesudelten Hände nach meinem Ai’oa auszustrecken. Wie kann er es wagen, meiner süßen, unschuldigen Ami etwas anzutun. Und wie kann er es wagen, die Nadel, die ihren Tod bedeutet, in meine Hände zu legen und von mir zu erwarten, dass ich dieses unaussprechliche Verbrechen begehe.
Onkel Paolo beschreibt gerade das Vorgehen. »Das Elysia fließt durch den Körper der Testperson, bis es ihr Herz erreicht. Dort findet die Katalyse statt – und das ist der Grund, weshalb wir nicht einfach ein paar Ampullen Blut abzapfen und es in einer Petrischale mit dem Elysia mischen können. Das Herz nimmt die tödlichen Bestandteile im Elysia auf und das Blut, das dann abfließt, ist reines Immortis. Wir ziehen es aus dem Körper heraus und beginnen sofort mit der Transfusion. Das Blut muss noch warm und frisch sein. Kühlt das Immortis ab, ist es nutzlos für uns.«
Er hat bereits seinen Ärmel aufgerollt und tupft Alkohol auf die Stelle an seinem entblößten Unterarm, wo er Amis frisches Blut injizieren will, im Tod aus ihren Adern geraubt.
Alle warten. Beobachten mich. Wahrscheinlich fragen sie sich, ob ich stark genug bin, ob ich bereit bin.
Ich schaue die Nadel an und schaue Ami an. Wieder zuckt ihre Hand.
Ich möchte schreien: Ihr seid alle Monster, wie könnt ihr es wagen, so etwas zu tun? Doch stattdessen kommt etwas ganz anderes aus meinem Mund: »Kennt ihr ihren Namen?« Es kommt als Flüstern heraus, kaum hörbar.
Onkel Paolo legt den Kopf schräg. »Ihren Namen? Was soll das, Pia? Es ist Testperson Nummer 334, nichts anderes. Niemand anders. Nur… Stell dir vor, es ist lediglich ein weiteres Kätzchen.«
Diese Worte – ein weiteres Kätzchen – zerreißen endgültig das dünne Band, das mich noch mit Onkel Paolo und seiner verdammten Bestimmung verbindet.
»Sie ist kein Tier«, fauche ich. Der Schock verzerrt Onkel Paolos Miene. »Sie ist ein Kind! Ein menschliches Wesen! Und kein Laborversuch!«
»Pia!« Aus Schock wird Wut. Er macht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche einen zurück. Hinter mir treten überraschte Wissenschaftler zur Seite. Was immer sie von mir erwartet haben, das sicher nicht.
Aber mein Blut zirkuliert wieder, heiß und wild und ungestüm und zornig bis an die Grenze zum Wahnsinn. Der Schmerz, die Schuld, die Verwirrung, das Entsetzen, all die Gefühle, die in den letzten Tagen in mir getobt haben, werden jetzt zum Brennmaterial für das Feuer, das sich zu einem wütenden Inferno auswächst. Es verschlingt und erfüllt mich und bricht aus mir heraus.
»Ihr seid Monster! Alle miteinander!« Ich wirble zu den anderen herum. »Wie könnt ihr das tun? Wie könnt ihr –« Ich verschlucke mich an meinen eigenen Worten. »Mutter! Wie konntest du?«
»Pia, beruhige dich.« Onkel Paolo setzt seine besänftigende Stimme ein, süß wie flüssiger Honig. »Beruhige dich wieder. Du musst es nicht tun. Du bist noch nicht bereit, ich sehe es jetzt ein. Es ist zu früh –«
»Zu früh? Nicht früh genug! Du hättest mir die Wahrheit viel früher sagen sollen!«
Er kommt auf mich zu. Ich stelle mich rasch hinter einen Tisch. »Pia, hör mir zu, bitte! Du verlierst die Kontrolle über dich.«
Mir kommt etwas in den Sinn, das Tante Nénine einmal vor langer Zeit gesagt hat: »Monster im Wandschrank.« Ich beginne albern zu kichern und gleichzeitig zu zittern. »Monster im Wandschrank!«
»Pia…« In seinem Blick liegt echte Besorgnis. Er glaubt wohl, ich hätte den Verstand verloren.
Vielleicht ist es ja auch so.
»Gib mir die Spritze«, befiehlt er. Die anderen rücken zusammen und stellen sich zwischen mich und die Tür.
»Nein.« Ich drücke sie an meine Brust. »Du wirst sie damit nicht umbringen. Nein. Lass sie gehen.«
»Pia, du weißt, dass das unmöglich ist. Verdammt, Pia, wir sind so weit gekommen! Du bist so nah dran! Dafür hat man dich erschaffen, begreifst du das nicht? Das ist dein Sinn und Zweck! Das ist die Methode, mit der du erschaffen wurdest! Jetzt aufzugeben, bedeutet, deine eigene Existenz aufzugeben. Du verdankst dein Leben – dein endloses Leben – dem, was in diesem Raum geschieht.«
»Mord?«
»Es ist kein Mord, Pia, nicht im eigentlichen Sinn. Sieh es nicht als Mord, nicht als böse, sondern als die –«
»... höchste und nobelste Form der Menschlichkeit, ich weiß. Das sagtest du bereits.« Ich entspanne mich etwas und lasse meine Hände ein Stück weit sinken.
»Gut. Genau.« Auch er entspannt sich.
»Das übergeordnete Wohl.« Ich nicke
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