Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
Hat Onkel Paolo Ihnen die Geschichte, die hinter Little Cam, mir und allem hier steckt, denn nicht erzählt?«
»Er sagte, das käme alles bei der Einführung heute Abend. Aber -« Sie beugt sich vor und flüstert: »Ich bin entsetzlich neugierig. Also erzähl du sie mir.«
Ich freue mich riesig über diese Chance. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, jemandem meine Geschichte zu erzählen, zumindest nicht so. »Begonnen hat alles vor über hundert Jahren, 1902, um genau zu sein. Ein Wissenschaftler-Team suchte im Dschungel nach neuen Pflanzen, um Arzneimittel daraus herzustellen. Sie drangen tiefer vor als jeder andere von außerhalb des Regenwaldes und begegneten Eingeborenen, die noch nie Menschen mit weißer Haut und Schnauzbart gesehen hatten. Chef der Expedition war ein Biologe und Botaniker namens Heinrich Falk. Er hatte von einer Pflanze im Herzen des Dschungels gehört, von der es hieß, sie könne menschliches Leben verlängern. Alle anderen hielten es für einen Mythos. Geschichten dieser Art gab es mehr als Blätter an einem Kapokbaum und keine hatte sich je bewahrheitet. Aber Dr. Falk fand die Pflanze. Epidendrum elysius. Er nannte sie Elysia. Im ganzen Regenwald – und auf der ganzen Welt – wächst sie nur an einer einzigen Stelle. In der Falkschlucht. Sie sagen, es sei nicht weit von hier, aber ich war noch nie dort.«
»Und was hat diese Zauberpflanze dann bewirkt?«, fragt sie. Ich höre die Skepsis, die sich wieder bei ihr einschleicht. Gut so. Ich bin noch nicht fertig mit meiner Geschichte.
»Es hat nichts mit Zauberei zu tun. Es ist Wissenschaft. Und der Nektar, der sich im Blütenkelch sammelt, tötet einen innerhalb von Minuten, wenn man ihn trinkt.« Ich war zwar noch nie in der Falkschlucht, aber eine Elysia-Pflanze habe ich schon gesehen. Onkel Antonio hat mir einmal eine mitgebracht, einen einzelnen Stängel der kostbaren Pflanze, die der Grundstein meiner Existenz ist. Die Blüten sind von einem intensiven Violettrot und die Spitzen der Blütenblätter schimmern golden. Sie sieht ganz ähnlich aus wie einige meiner Orchideen auf dem Fensterbrett. Ich habe versucht sie einzupflanzen, aber sie ist eingegangen. Ich war nicht die Erste, die das versucht hat. Eine der größten Hoffnungen der Wissenschaftler von Little Cam ist es, einen Weg zu finden, Elysia aus Ablegern zu vermehren. Bis jetzt ist es noch nicht gelungen. Es wäre keine so große Sache, wenn wir wüssten, wie sie sich vermehrt, aber das ist auch so ein Geheimnis. Die Pflanzen, die jetzt in der Falkschlucht wachsen, sind genau dieselben, die Falk und sein Team entdeckten. Der Lebenszyklus von Elysia konnte noch nicht entschlüsselt werden; soweit wir wissen, vermehrt sie sich nicht.«
Dr. Tollpatsch schnaubt und erinnert sich wieder an ihre Zigarette. Bevor sie jedoch daran zieht, meint sie: »Das klingt ja doch nach handfester Zauberei. Dann war das mit Falk also folgendermaßen: Er kommt daher, frech wie Oskar, nennt die Pflanze und den Ort nach sich selbst, isst das verdammte Zeug dann prompt und fällt tot um?«
»Nein, so war es überhaupt nicht. Sie haben ihr Lager aufgeschlagen und angefangen mit Ratten zu experimentieren. Immer wieder sind sie mit ihrem Lager umgezogen, bis sie schließlich hierherkamen und blieben. Ich glaube, es war Dr. Falks Nachfolger, Wickham, der den Ort schließlich Little Cambridge genannt hat.« Und den Wickham-Test entwickelte, den jeder Wissenschaftler durchlaufen muss, bevor er in das Projekt aufgenommen wird. Ich frage mich, wie der Wickham-Test von Dr. Tollpatsch ausgesehen hat.
»Und was hat es jetzt mit dem Stammbaum auf sich?«
»Dazu komme ich noch. Ein bisschen Geduld, ja?« Ich streiche mir das Haar hinter die Ohren und atme tief durch. »Sie haben also mit Ratten experimentiert und fanden heraus, dass sie die tödliche Wirkung des Nektars aufheben konnten, wenn sie ihn dem Nektar einer anderen Pflanze beimischten. So konnte er gefahrlos Ratten und Menschen injiziert werden. Ich habe diese andere Pflanze nie gesehen, aber Onkel Paolo sagt, dass sie einfach ›Katalysator‹ genannt wird. Sie muss sehr selten sein, denn ich finde sie in keiner Enzyklopädie und in keiner Datenbank. Jedenfalls haben sie mit der Injektion bei den Ratten angefangen und nichts ist passiert. Die Tiere haben ihr normales Rattenleben gelebt und starben, wenn sie alt waren. Ende.«
»Bitte?«
»Bitte was?«
»Ist das wirklich das Ende der Geschichte?«
»Natürlich nicht!« Die Frau mag ja
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