Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
Geburtstage so etwas wie ein Countdown zum Ende hin, die tickende Uhr einer abnehmenden Lebenszeit. Für mich sind Geburtstage Kerben in einem unendlich langen Lebensholz. Ob ich solche Partys eines Tages leid bin? Wird mein Geburtstag bedeutungslos? Ich stelle mir vor, wie ich in ein paar Jahrhunderten, vielleicht an meinem dreihundertsten Geburtstag zurückschaue auf meinen siebzehnten. Kann ich glücklich sein, wenn ich mich dann an den Glanz in den Augen meiner Mutter erinnere? An die schnellen Schritte meines Onkels Antonio beim Tanzen? Die Art und Weise, wie mein Vater mit diesem für ihn so typischen, geistesabwesenden Lächeln am Rand der Tanzfläche steht?
Die Szene vor meinem inneren Auge verändert sich. Als hätte ein unsichtbarer Besen sie weggefegt, verschwinden die Menschen, die ich mein Leben lang gekannt habe. Die Tanzfläche ist leer, bedeckt von vermoderndem Laub. Ich stelle mir Little Cam verlassen vor. Alle sind tot, nur ich bin noch übrig.
Bis in alle Ewigkeit.
Nein. So wird es nicht kommen. Ich werde nie allein sein, weil ich meine anderen Unsterblichen um mich habe. Ich werde jemanden haben, der mich so ansieht, wie Onkel Antonio Harriet Fields anschaut, nur dass derjenige mich bis in alle Ewigkeit so ansehen wird. Mein Bauch krampft sich zusammen vor Sehnsucht. Ich möchte zu Onkel Paolo laufen und ihn auffordern, mir das Geheimnis von Immortis zu verraten, ihn bitten, dass er den Prozess in Gang setzt, mit dem wir meinen Mister Perfect erschaffen. Ich denke an die fünf Generationen, die bis zu seiner Geburt vergehen, und möchte schreien. Ich will jetzt jemanden haben. Ich will jemanden haben, der mir in die Augen schaut und alles darin versteht.
Um mich abzulenken, hole ich mir noch etwas Punsch. Niemand ist am Buffet, sie sind alle auf der Tanzfläche. Ich entdecke einen leeren Becher, fülle ihn und bleibe erst mal, wo ich bin. Ich überlege, ob ich es noch einmal mit dem Tanzen versuchen soll, doch meine anfängliche Euphorie ist verflogen. An ihrer Stelle hat mich eine Melancholie befallen, die ich nicht abschütteln kann.
Niemand scheint zu merken, dass ich nicht tanze. Mit einem Ruck stelle ich meinen Becher ab und mache mich aus dem Staub. Ich gehe durch den Garten zum Tierhaus. Da mein langes Kleid im Vorbeigehen an den Blumen hängen bleibt, ziehe ich es bis zu den Knien hoch.
Im Tierhaus ist alles dunkel. Ich will nicht, dass der Griesgram aufwacht und anfängt zu brüllen, deshalb taste ich nach der kleinen batteriebetriebenen Laterne, die Onkel Jonas immer auf dem Fass mit dem Papageienfutter stehen hat.
Im Lichtkreis der Laterne gehe ich lautlos an den Käfigen vorbei. Ein paar Vögel zwitschern mich an und die Ozelotdame Jinx schaut von dem hohen Ast herunter, auf dem sie gerne schläft. Sneeze, ihr wenige Wochen altes Kleines, schläft neben ihr in einer Astgabel. Ihre Augen sehen aus wie eigene kleine Laternen.
Alai ist wach, als hätte er mich erwartet. Ich öffne seine Käfigtür und schlüpfe hinein. Nachdem ich die Laterne an einen Haken an die Wand gehängt habe, lasse ich mich neben dem Jaguar auf den Boden sinken und schlinge einen Arm um seinen Hals. Er reibt seinen Kopf an mir. Offenbar gefällt ihm die weiche Seide.
»Da bist du«, kommt eine Stimme aus der Dunkelheit.
6
Es ist Dr. Tollpatsch. Sie kommt einfach in den Käfig und hockt sich mir gegenüber auf den Boden. Ächzend zieht sie ihre Schuhe aus und legt dann die Knöchel übereinander. »Ich weiß nicht, welcher Idiot auf die Idee kam, dass wir uns zwischen Schönheit und Bequemlichkeit entscheiden müssen, aber ich könnte ihm mit diesen Absätzen die Augen ausstechen.«
Ich sage nichts, beobachte sie nur so argwöhnisch wie eine Maus einen Ozelot.
»Aber wahrscheinlich müssen nicht alle diese Entscheidung treffen. Ich kann mir vorstellen, dass du auch in ein paar mit Klebeband zusammengehaltenen Palmwedeln super aussehen würdest.« Sie zieht einen Schmollmund. »Total unfair. Die meisten müssen für ihr Aussehen hart arbeiten.«
»Was wollen Sie hier?«
Sie hebt die Brauen. »Hey, ganz locker. Ich wollte dir nur dein Geschenk geben.«
Erst da fällt mir auf, dass sie ein kleines Päckchen in der Hand hält. »Ach ja. Geschenke.«
»Wenn es etwas gibt, das du niemals vergessen solltest, sind es die Geschenke.« Sie wirft es mir zu. Jede andere hätte wahrscheinlich danebengegriffen, aber meine Hände heben sich automatisch und greifen es aus der Luft.
»Ich hab sie nicht
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