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Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Titel: Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Khoury
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eine Weltkarte, Alai.« Er hat schon wieder das Interesse verloren, aber ich bin total fasziniert.
    Noch nie habe ich eine gesehen. In ganz Little Cam gibt es keine einzige Landkarte, die nicht weggeschlossen ist. Nur eine hängt eingeschweißt im Gebäude der Wartungstechniker, aber die zeigt nur das Gelände innerhalb des Zauns.
    Auf dieser Karte sind Kontinente und Ozeane und Länder und Gebirge zu sehen, eine ganze Welt. Die Welt. Meine Welt.
    Ich zeichne mit dem Finger die Umrisse der Landmassen nach. Europa. Afrika. Australien. Asien. Herrliche Namen, geheimnisvolle Namen. Ich weiß, dass hinter diesen Namen Millionen weitere Wörter stehen – von Menschen, Orten und Geschichten.
    Mich überkommt ein merkwürdiger Hunger, als sei ich mein Leben lang unterernährt gewesen und beginne gerade erst, es zu merken. Mit Leib und Seele sehne ich mich danach, diese Wörter und Namen und Geschichten zu erfahren, alles zu erfahren. Jetzt sofort möchte ich losziehen, noch in dieser Minute, und jeden Zentimeter dieser Karte mit meinen eigenen Augen erkunden, die Erde und die Bäume mit meinen eigenen Händen spüren und die Luft von jedem Winkel dieses Planeten schmecken.
    Ich frage mich, wo ich mich im Moment befinde. Little Cam ist sicher nicht eingezeichnet. Das würde Onkel Paolo nie zulassen. Ich lasse den Blick über Namen schweifen, die verzeichnet sind: Neuguinea. Sudan. Indien. Alaska. Mehr Ozeane und Meere, als ich zählen kann. Dutzende, nein unzählige Bereiche sind schwarz umrandet. Städte? Länder? Am liebsten würde ich durch Little Cam rennen und nach Dr. Tollpatsch brüllen, damit sie kommt und mir alles erklärt.
    Beim Betrachten der Karte stelle ich überrascht fest, wie wenig ich weiß. Was erschreckend ist, da ich bis jetzt das Gefühl hatte, schon so viel gelernt zu haben. Ich kann das Periodensystem rückwärts aufsagen. Zeig mir ein Tier und ich kann dir sagen, zu welchem Stamm und welcher Spezies es gehört und alles andere dazwischen auch. Ich kenne die Namen sämtlicher Pflanzen im Regenwald und wofür sie verwendet werden können. Nenne mir eine Krankheit und ich sage dir, wie sie behandelt werden kann.
    Aber bitte mich, dir fünf Kontinente zu nennen, und mir fällt nichts ein. Würdest du mich fragen, wo die Sachen, die Onkel Timothy mitbringt, hergestellt werden, ich könnte es dir nicht sagen. Ich weiß, wo Westen ist, aber ich weiß nicht, welcher Ozean in dieser Richtung liegt oder wie weit es bis dahin ist. Ich weiß, was Löwen und Kängurus und Grizzlybären sind, aber ich weiß nicht, wo sie leben.
    Je mehr ich über die Welt erfahre, desto weniger scheine ich zu wissen.
    Ich hebe die linke Hand, um zu sehen, was sie verdeckt, und ich entdecke Wörter, die eindeutig mit einem Stift geschrieben wurden. Ich beuge mich tiefer hinunter und kneife die Augen zusammen, um die Handschrift entziffern zu können. Little Cambridge. Amazonas.
    Mein Magen zieht sich zusammen. Ich habe das Gefühl, als versuchte ein Schwarm Schmetterlinge meine Kehle herauf und aus meinem Mund zu fliegen. Little Cam. Mein Little Cam.
    Es ist klein. Sehr klein. Dr. Fields hat kein großes Gebiet umrandet. Nicht einmal einen fetten Punkt hat sie gemalt, sondern nur ein winzig kleines rotes Pünktchen. Ich betrachte es blinzelnd. Das kann doch nicht Little Cam sein. Vielleicht ist der Punkt versehentlich da, vielleicht ist sie kurz mit dem Stift aufs Papier gekommen und es hat nichts zu bedeuten.
    Little Cam kann doch nicht so klein sein.
    Ich male mit dem Finger einen kleinen Kreis um den Punkt, dann immer größere Kreise. In Spiralen bewegt sich mein Finger von Little Cam nach außen, doch schon nach drei Schleifen stoße ich an andere Punkte. Und sie haben Namen: Peru. Kolumbien. Brasilien. Bolivien. Ein Netzwerk feiner blauer Linien überzieht sie alle und jede dieser feinen Linien ist mit einem großen Schnörkel verbunden. Ein Fluss, sagt mir mein Verstand. Ich muss wieder die Augen zusammenkneifen, um die Wörter, die oberhalb davon stehen, lesen zu können. Amazonas-Regenwald. Südamerika.
    »Amazonas«, flüstere ich sehr leise. Dann, ein wenig lauter, noch einmal: »Amazonas.« Alais Ohren zucken.
    Mir fällt ein, dass ich dieses Wort schon einmal gehört habe. Es ist wie mit einem Fleck auf der Bluse. Du siehst ihn jedes Mal, wenn du an einem Spiegel vorbeigehst, aber wenn du nicht wirklich hinschaust, registriert dein Gehirn ihn nicht. Beim Mittagessen, bei den geflüsterten Gesprächen der

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