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Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Titel: Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Khoury
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darauf, dass sich in meinem Gesicht kein Muskel regt, atme ganz bewusst, langsam und gleichmäßig. Ich darf nicht zusammenzucken oder keuchen oder sonst etwas tun, das darauf hinweisen könnte, dass meine Gefühle meine Objektivität beeinträchtigen. Der Vogel versucht wieder zu landen und ich höre das Knistern und Zischen der Elektrizität. Die bereits erschöpfte Ammer nimmt ihr hektisches Fliegen wieder auf.
    Flugdauer 3,85 Minuten, notiere ich. Mit 9,2 Flügelschlägen pro Sek. = 2.097 Schläge… Flugdauer 2,4 Minuten… Zahlen sind für mich wie Reflexe. Die Wissenschaftler ziehen mich gern damit auf. Ich würde zu viel Zeit mit ihnen verbringen, meinen sie. Einmal habe ich gefragt: »Was bleibt mir anderes übrig? Außer den Zahlen hab ich doch niemanden.« Eine Antwort darauf habe ich nie erhalten.
    Die Ammer beginnt Fehler zu machen. Sie bewegt sich zunehmend ungeschickt und bekommt dadurch noch mehr Elektroschocks verpasst. Einmal krallt sie sich an den Metallstäben fest und presst sich an die Käfigwand. Der kleine Körper wird von Stromstößen geschüttelt.
    Ich weiß, dass Onkel Paolo mich genau beobachtet und nach Zeichen von Schwäche forscht. Es kostet mich allergrößte Mühe nicht zusammenzuzucken.
    Ich darf diesen Test nicht vermasseln. Das geht einfach nicht. Die Wickham-Tests sind das Kernstück meiner Ausbildung. Sie zeigen, ob ich das Zeug zur Wissenschaftlerin habe. Ob ich bereit bin für die Geheimnisse meiner eigenen Existenz. Sobald ich bewiesen haben, dass ich eine von ihnen bin, kann meine eigentliche Arbeit beginnen: andere wie mich zu erschaffen. Und das ist das A und O. Ich bin die Erste und Einzige meiner Art. Sechzehn Jahre lang war ich die Erste und Einzige. Jetzt habe ich nur einen Wunsch: Ich möchte jemanden haben, der weiß, wie es ist. Wie es ist, nie zu bluten. Wie es ist, in die Zukunft zu schauen und die Ewigkeit zu sehen.
    Jemand, der weiß, wie es ist, von Menschen umgeben zu sein, die man liebt, die eines Tages jedoch aufhören zu atmen und verwesen, während dein Körper über alle Zeit hinaus funktioniert.
    Von ihnen weiß es niemand. Weder meine Mutter noch Onkel Paolo noch irgendein anderer. Sie glauben, sie würden es verstehen. Sie glauben, sie könnten sich in mich hineinversetzen und es nachempfinden. Dabei wissen sie nur, was sie beobachten können: wie schnell ich laufen kann zum Beispiel oder wie rasch bei mir blaue Flecken verschwinden. Doch von meinem tiefsten Inneren, von der verborgenen Pia wissen sie im Grunde nur, dass sie anders ist.
    Wie sehr können sie sich überhaupt nicht vorstellen.
    Plötzlich zeigt das E13-Serum Wirkung, denn der Vogel fliegt wieder auf und dreht seine Kreise. Ich notiere jede Bewegung, doch meine Hand beginnt zu zittern. Ich sehe Onkel Paolos triumphierenden Blick, als der Vogel doppelt so kräftig mit den Flügeln schlägt wie zu Beginn des Tests. Eine, zwei, sechs Minuten, dann lässt die durch das Serum aktivierte Energie nach. Der Vogel kommt erneut ins Straucheln.
    Ich möchte, dass es aufhört, aber ich wage nicht, zu meiner Mutter zu blicken. Sie würde sich auf Onkel Paolos Seite schlagen. Das tut sie immer. Onkel Paolo schreibt und schreibt. Ich wüsste gern, was er über mich notiert, aber es kostet all meine Kraft, mich zusammenzureißen.
    Lange macht die Ammer es nicht mehr, dann wird ihr Herz aufhören zu schlagen. So weit wird es bestimmt nicht kommen. Ich schaue zu Onkel Paolo, doch sein Gesicht ist so ausdruckslos wie immer. Er ist der geborene Wissenschaftler.
    »Ich glaube…« Ich halte inne, fahre mit der Zunge über die Lippen. Mein Mund ist trocken. »Ich glaube, ich habe ausreichend Daten.«
    »Der Test ist noch nicht vorbei, Pia«, erwidert Onkel Paolo mit einem Stirnrunzeln.
    »Aber… noch eine Minute und sein Herz bleibt –«
    »Pia.« Sein Ton ist streng und das Stöhnen, das ich so lange zurückgehalten habe, entschlüpft mir schließlich. Onkel Paolo beugt sich vor. »Der Test ist noch nicht vorbei. Du musst deine Gefühle unter Kontrolle halten, Pia. Du musst den Blick aufs Ziel richten, nicht auf die Schritte, die nötig sind, um es zu erreichen. Das Ziel ist alles. Die Schritte sind nichts. Egal wie schwierig der Weg ist, das Ziel entschädigt für alles.«
    Ich öffne den Mund, um weiter zu protestieren, lehne mich dann aber langsam zurück und gehorche. Er wird es nicht so weit kommen lassen. Bestimmt nicht.
    Die Ammer landet schwerfällig, fliegt wieder auf. Sie versucht gar nicht mehr

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