Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
flüsternd, »was sagen sie?«
Er ist der Einzige, der nicht in den Singsang eingestimmt hat. Ruhig und prüfend blickt er mich an. »Dass du gekommen bist, um uns zu retten.«
12
»Euch retten?«, wiederhole ich. »Wovor soll ich euch retten?«
Doch Eio antwortet nicht. Er nimmt meine Hand, zieht mich zum größten Feuer und bedeutet mir, mich zu setzen. Alai streckt sich zu meinen Füßen aus. Die Ai’oaner bringen nach und nach Bananenblätter und Schüsseln mit Essen. Das meiste erkenne ich wieder, da Little Cam regelmäßig mit den Eingeborenen Handel treibt und Obst und Fleisch gegen Kleidung tauscht. Aber es sind auch Schalen dabei, deren Inhalt ich noch nie gesehen habe und die ich nicht anfassen möchte.
Alle beobachten mich erwartungsvoll und drängen mich, etwas zu essen. Also versuche ich ein kleines bisschen von jeder Schale, die an mir vorbeigereicht wird. Was soll ich auch tun? Eio sitzt rechts von mir, Luri links. Ich verstehe zwar nicht, weshalb, aber Eio hat eine in meinen Augen übertrieben selbstgefällige Miene aufgesetzt. Die Drei sitzen auf der anderen Seite des Feuers. Obwohl sie inmitten von Ai’oanern sitzen, scheinen sie doch nicht Teil der Gruppe zu sein. Sie beobachten mich still und nach einer Weile beschließe ich, sie so weit wie möglich zu ignorieren. Nun kann ich das Essen genießen. Erst nachdem ich alles probiert habe, beginnen auch die Ai’oaner zu essen, obwohl es bereits Mitternacht sein muss.
Ich weiß, dass ich nach Hause gehen sollte, kann mich aber nicht losreißen. Das Dorf und seine Bewohner sind so voller Leben und so anders als alles, was ich bisher kennengelernt habe. Ich habe Angst, bin verwirrt und verzaubert. Ob mein Vater sich so fühlt, wenn er einen neu entdeckten Käfer untersucht, oder Onkel Paolo, wenn er bei einem seiner Experimente eine bahnbrechende Entdeckung macht?
Aus irgendeinem Grund bin ich heute Abend der Ehrengast. Es muss etwas mit dem Jaguar-Mantis-Mond-Mal zu tun haben, das Kapukiri in meinen Augen gesehen haben will. Wovor ich sie retten soll, verraten sie mir nicht. Doch es fällt schwer, darüber nachzugrübeln, während sie mich mit Orchideengirlanden behängen. Kinder drängen sich um mich und stellen schüchtern Fragen in einer Mischung aus Englisch und Ai’oanisch. Es scheint ihnen nichts auszumachen, wenn ich nicht antworte. Sie versuchen Alai zu streicheln, doch er warnt sie mit einem Fauchen.
Die Kinder faszinieren mich. Ich habe noch nie jemand Jüngeres als mich gesehen. Ich bin immer das einzige Kind in Little Cam gewesen. Die Spiele der Kinder, ihr Lachen und die Art, wie sie sich bewegen – als seien sie Blumen, die sich im Wind wiegen –, fesseln mich. Sie sind so klein und so frei. Ihnen zuzuschauen, tut fast weh.
Wenn meine unsterbliche Rasse ihre volle Anzahl erreicht hat, wird es keine Kinder mehr geben. Das muss so sein, wenn wir keine Überbevölkerung riskieren wollen. Wie oft habe ich schon davon geträumt, meine Unsterblichen zu erschaffen, doch für einen Augenblick jagt mir der Gedanke einen Schauer über den Rücken.
Ich muss ein Stück vom Feuer abrücken, als einige Ai’oaner zu tanzen beginnen. Kein Vergleich zu den steifen, festgelegten Tanzschritten an meiner Geburtstagsparty. Die Bewegungen der Ai’oaner sind wild, spontan, so geschmeidig und lebhaft wie Flammen. Ein paar schlagen die Trommel oder spielen auf schlanken Holzflöten und die Tänzer wiegen sich und springen im Rhythmus der Musik. Keiner bewegt sich wie der andere. Ich höre auf zu essen und schaue nur noch mit großen Augen zu. Wahrscheinlich sehe ich reichlich dämlich aus. Aber ich kann nicht anders. Das Schauspiel ist hinreißend.
»Komm.« Ich blicke auf. Vor mir steht Eio und hält mir die Hand hin.
Ich schüttle den Kopf. »Ich kann nicht tanzen, glaub mir.«
»Komm.«
Widerstrebend nehme ich seine Hand. Sie ist warm und stark, er zieht mich hoch und wirbelt mich herum, bevor ich es mir anders überlegen kann. Dann gibt es kein Entrinnen mehr. Wie von einem Magneten angezogen bewege ich mich im Kreis der Tänzer. Und es ist mir nicht peinlich. Bald vergesse ich alles und spüre nur noch die Musik, das Feuer, die Bewegung der Körper, die um mich herumwirbeln und mich mitziehen. Eio ist an meiner Seite. Er hält immer noch meine Hand. Wir beide bewegen uns wie zwei Flammen einer Fackel, wie Onkel Antonio und Dr. Tollpatsch, als sie tanzten. Aber wir sind wilder, ungezwungener und jeder Schritt entspringt einem Urinstinkt,
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