Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
überschütten, beruhige ich mich so weit, dass ich die Erklärung für mein Eingesperrtsein stammeln kann. Die falsche natürlich.
Ich bin erleichtert, dass sie nicht weiter nachbohren, und sage mir, dass Onkel Paolo und Mutter sich nur zufällig diesen Blick zuwerfen. Und dass es nur die mütterliche Sorge um ihre halb erfrorene Tochter ist, mit der meine Mutter mich mit so festem Griff an der Schulter aus dem Raum führt.
Tante Harriet verzieht keine Miene.
15
Zwei Tage vergehen. Ich habe entsetzliche Angst, jemand könnte hinter die Sache kommen und dass Tante Harriet und ich in Onkel Paolos Büro beordert werden könnten. Doch alles geht seinen gewohnten Gang, nichts Unübliches geschieht – außer dass ich aus der Küche ein Päckchen Streichhölzer stibitze, als Jacques nicht hinschaut.
In meinem Zimmer, bei fest verschlossener Tür, stelle ich mich vor den Spiegel, ziehe ein Streichholz aus der Schachtel und entzünde es. Ich weiß nicht, was ich sehen werde und ob ich überhaupt etwas sehe, aber seit Ai’oa gehen mir Eios Worte nicht mehr aus dem Kopf: »Das Mal kann man nur im Schein eines Feuers sehen.«
Ich halte das Streichholz vor meine Nase und warte, dass etwas passiert.
Nichts.
Also beuge ich mich weiter vor, bis meine Nase fast den Spiegel berührt, und halte das Streichholz höher.
Und dann sehe ich es, kurz bevor das Streichholz bis zu den Fingerspitzen heruntergebrannt ist. Ich hätte die Flamme an meiner Haut nicht bemerkt, wenn sie nicht von selbst ausgegangen wäre. Meine Fingerspitzen sind warm, doch das Feuer kann ihnen nichts anhaben. Ich streiche noch ein Streichholz an – einmal, zweimal, dreimal, bevor es brennt – und ramme es mir fast ins Auge, so erschüttert bin ich von dem, was ich entdeckt habe.
Es sieht fast aus wie die Spiegelung der Flamme in meinen Augen. Fast. Denn die kleine Streichholzflamme brennt praktisch unbewegt und gleichmäßig, ganz anders als die Explosionen in Gold und Violett in meiner Iris. Die Farbreflexe sind mir noch nie aufgefallen. Ich hätte nie vermutet, dass sie da sein könnten. Und gewiss auch sonst niemand in Little Cam. Onkel Paolo jedenfalls hat die flackernden Flammen nie erwähnt. Aber sie sind da. Winzige Lichter, die auf dem Blaugrün meiner Iris wirbeln und leuchten. Wenn ich das Streichholz weiter weghalte, verschwinden sie, doch sobald ich mit der Flamme wieder näher komme, sind sie da. Die Farben von Elysia, gefangen in meinen Augen, wo sie leuchten und lodern und erlöschen wie Feuer, wie Wasser, wie Rauch.
Dann ist das also das Mal von Jaguar, Mantis und Mond. Das Zeichen der Tapumiri der Ai’oaner. Meine Hände zittern. Ich blase das Streichholz aus und werfe es in den Papierkorb. Einen Moment lang stehe ich nur da und schaue mich im Spiegel an. Meine Augen sind wieder ganz normal. Welche Geheimnisse liegen noch in mir verborgen? Langsam streiche ich über meine Wangen, ohne zu wissen, was ich eigentlich erwarte. Dass mir Antennen aus dem Haaransatz wachsen? Sich auf meinen Wangen Schuppen bilden?
Da ich dringend Ablenkung brauche, beschließe ich ein paar Bahnen zu schwimmen. Der Marsch von unserem Haus zum Schlafblock B, wo der Pool ist, könnte bereits als erste Bahn gewertet werden, da es wie aus Kübeln schüttet. Innerhalb einer Minute bin ich völlig durchnässt. Ich ziehe mein T-Shirt aus und gehe im Badeanzug weiter.
Im Pool ist niemand, was mir sehr entgegenkommt.
Ich werfe mein Shirt und die Shorts auf einen Liegestuhl und gehe langsam weiter, um auf den nassen Fliesen nicht auszurutschen. Das Wasser im Pool ist blau und unbewegt. Die glatte Wasseroberfläche eines Schwimmbeckens hat etwas Unwiderstehliches. Ich balanciere auf dem Rand und genieße die Vorfreue auf das Durchbrechen dieser ruhigen Oberfläche. Aus dem Wasser heraus winkt mich mein Spiegelbild zu sich.
Ich strecke die Arme, lege die Hände über dem Kopf aneinander, stoße mich ab und tauche in einem weiten Bogen ein. Es spritzt kaum. Das Wasser ist kühl und glatt und schluckt mich ganz.
Ich schwimme in gemächlichen Zügen und lasse mich zwischendurch immer wieder auf dem Rücken treiben. Das Dach über mir ist aus Glas wie in meinem Zimmer und mit Regentropfen gesprenkelt.
Ich war bisher so damit beschäftigt, nicht an die Dorfbewohner zu denken – aus Angst, jemand könnte mir die Wahrheit ansehen –, dass ich noch gar nicht richig über das Geschehene nachsinnen konnte. Als ich die Erinnerungen jetzt wieder wachrufe, kommt mir alles
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