Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
und präge mir die Konturen ein. Plötzlich höre ich ein scharfes Pling.
Sofort raffe ich die Karte zusammen, ohne auf die Faltlinien zu achten, und stopfe sie unter mein Kissen. In heller Panik, dass mein Geheimnis entdeckt wurde, schaue ich mich um. An der Tür ist niemand. Auf dem Flur auch nicht. Als ich rufe, kommt aus dem stillen Haus keine Antwort.
Ich gehe wieder in mein Zimmer und bin mir fast sicher, dass es nur eine Nuss war, die auf das Dach gefallen ist, als ich wieder ein Pling höre. Dann machte es pling, pling, pling. Beim zweiten Pling weiß ich, woher das Geräusch kommt, nämlich von der breitesten Glasfront.
Ich stelle mich davor und lege eine Hand an die Scheibe. Der nächste Stein landet genau da, wo meine Handfläche ist. Mit einem leisen Schrei springe ich zurück und blicke instinktiv auf meine Hand, aber natürlich ist der Stein vom Glas abgeprallt.
»Eio?«, frage ich ungläubig, obwohl er mich natürlich nicht hören kann.
Er steht auf der anderen Seite des Zauns, und als er sieht, dass ich ihn bemerkt habe, lässt er die restlichen Steine, die er noch in der Hand hält, fallen. Er sagt etwas, doch ich kann es ihm nicht von den Lippen ablesen. Ich stelle mich dicht ans Fenster und schüttle den Kopf. Dabei muss ich die ganze Zeit denken, wie froh ich bin, dass ich mich in meinem begehbaren Kleiderschrank umgezogen habe und nicht im Zimmer, wie ich es manchmal tue.
»Was machst du hier?«, frage ich lautlos, aber ich sehe, dass auch er mich nicht versteht. Mein Herz flattert, zum einen vor Angst, dass ihn jemand sehen könnte, zum anderen vor Aufregung, weil ich ihn wiedersehe. Ich hebe einen Finger, dann beide Hände mit den Handflächen zu ihm, bis er nickt und ruhig stehen bleibt. Warte.
Es dauert keine Minute, bis ich aus der Haustür bin, die Umgebung abgesucht und festgestellt habe, dass die Luft rein ist. Ich laufe um das Haus herum zu der Stelle, an der Eio nur Zentimeter vom Zaun entfernt steht.
»Nicht berühren!«, rufe ich leise, als ich sehe, dass er einen Schritt nach vorn machen will. Im letzten Moment hält er inne und ich atme erleichtert auf. Ich habe keine Lust zuschauen zu müssen, wie er verbrutzelt, bevor er etwas sagen kann.
»Wo warst du, Pia-Vogel?«
»Was tust du hier?«, frage ich gleichzeitig.
Wir warten beide, dass der andere antwortet, und setzen dann wieder beide im selben Moment an. Nach dem kurzen Verwirrspiel sage ich schließlich: »Ich konnte nicht kommen, Eio.«
»Bist du immer noch sauer auf mich?« Er wirkt richtig geknickt.
»Nein, natürlich nicht. Es war alles meine Schuld, Eio, nicht deine. Ich hätte viel eher nach Hause gehen sollen. Dann hätten sie das Loch vielleicht nie entdeckt.« Ich zeige auf die frisch aufgefüllte Erde und die ausgegrabenen Steine. »Sie haben das Loch, durch das ich geschlüpft bin, zugeschüttet, Eio. Ich kann nicht mehr raus.«
»Du musst wiederkommen!«, verlangt er. »Ich will dir noch so viel zeigen. Wasserfälle und Höhlen und –«
»Eio…« Mein Herz schlägt Purzelbäume vor Sehnsucht und einen Moment stelle ich mir vor, wie ich mit ihm im Regenwald untertauche. Eine Unwägbarkeit, warnt mich meine innere Wissenschaftlerstimme wieder. Verrenne dich in nichts. Meine Instinkte kämpfen gegeneinander. Lauf. Bleib. Ich blicke in Eios Augen und spüre ein Ziehen im Bauch, als hinge ich an einer Schnur und würde noch weiter nach Little Cam hineingezogen, weg von dem Unbekannten… »Ich… ich bin keine Ai’oanerin, Eio. Mein Platz ist hier. Es tut mir leid. Ich kann nicht mit dir gehen.«
Er tritt einen Schritt zurück und schaut mich nachdenklich an. »Sie haben dich gezähmt wie einen Affen. Dich abgerichtet zum Nüssefangen und Auf-ihrer-Schulter-Sitzen. Und jetzt lebst du lieber an einer Leine als frei durch die Baumwipfel zu turnen?«
»Das ist nicht wahr. Es ist meine Entscheidung, Eio.«
»Sagt der Affe.«
»Eio!« Er kann mich so wütend machen! Sieht er denn nicht, dass uns mehr trennt als nur ein Zaun? Ich muss daran denken, wie ich vollkommen im Tanz der Ai’oaner aufgegangen bin, an diese herrlichen Momente, als ich das Gefühl hatte dazuzugehören. Zu vergessen, wer ich bin, und mit der Menge zu verschmelzen, war ungemein verführerisch – doch als meine Unsterblichkeit zur Sprache kam, war der Zauber gebrochen. »Ich habe keinen Platz in deinem Dorf und auch nicht in den Hoffnungen deiner Leute. Ich hab’s dir gesagt. Ich bin unsterblich. Ich gehöre hierher.«
»Das alles
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