Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
war ich noch nie innerhalb so kurzer Zeit in so vielen misslichen Lagen. Ich mache mir Sorgen – was natürlich ein bisschen verrückt ist –, dass ich dazu verdammt sein könnte, bis in alle Ewigkeit von einem Dilemma in das nächste zu stolpern. Wie viel Druck kann ein Mensch aushalten, bevor er platzt?
»Ich muss eine Runde schwimmen«, verkünde ich, doch dann fällt mir ein, dass ich ja noch die Pflanzen zeichnen muss, und mein Elend wird noch größer.
Tante Harriet betrachtet mich, als sei ich ein Puzzle, bei dem sämtliche Eckteile fehlen. Und so fühle ich mich auch.
»Was du wirklich tun musst«, sagt sie leise, da Clarence mit einer Tonne schmutziger Handtücher vorbeischlurft, »ist, dir das Angebot noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, das ich dir vor ein paar Tagen gemacht habe.«
Ich weiß sofort, wovon sie spricht. Ich mustere sie argwöhnisch und frage mich, wo der Haken ist. »Du brauchst also immer noch eine ›Assistentin‹, die dir bei deinem Forschungsprojekt hilft?«
»Ganz genau.«
Ich starre auf die Spitzen meiner weißen Sneakers. Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen? »Wie bist du drauf gekommen?«
»Dass der Junge von der Zeichnung etwas mit deinem Verschwinden zu tun haben könnte?« Sie lächelt amüsiert. »Oh, Pia, ich weiß, was in einem jungen Mädchen vorgeht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich selbst jung war.« Sie kichert. Sie kichert. Wie die kleinen Mädchen in Ai’oa. »In der Highschool hatte ich einmal drei Lover gleichzeitig. Es gab Nächte, da hatte ich nacheinander drei Verabredungen.« Sie kichert wieder. »Und soll ich dir was sagen? Keiner hat je von den anderen erfahren, so gut war ich.«
»Lover?«
Sie blinzelt. »Du… du weißt nicht, was ein Lover ist? Oh-oh, Pia, Liebes. Du bist mehr als wohlbehütet, nicht wahr? Ein Lover ist… du weißt schon… ein Typ, den du magst und der dich auch mag. Also, mehr als mag.«
Ich blicke sie verständnislos an.
»Lassen wir das. Das kommt in der nächsten Stunde dran.«
Lover. Hm. Darüber muss ich später noch ausgiebig nachdenken. Ich stelle mir vor, es gäbe drei Eios, und komme zu dem Schluss, dass Tante Harriet definitiv einen an der Waffel hat. Mir reicht ja schon einer. »Also… wenn sie mir erlauben, ein paar Tage in der Woche bei dir zu arbeiten…«
»Und wenn du an diesen Tagen die meiste Zeit verschwunden wärst…«
»Würden sie das womöglich nie erfahren.« Ich denke die Sache mit wissenschaftlicher Gründlichkeit durch. »Es wäre heikel. Ich müsste wissen, was du in jeder Minute, die ich weg bin, tust, falls jemand nachfragt. Wir könnten uns keinen einzigen Fehler erlauben.«
»Kein Problem. Wie du sicher schon bemerkt hast, bin ich eine ausgezeichnete Lügnerin.«
»Würden sie mich überhaupt mit dir arbeiten lassen? Nach allem, was passiert ist…«
»Es gibt eine Sache, Pia, mit der man bei Wissenschaftlern wie denen in Little Cam immer rechnen kann.«
»Und die wäre?«
Sie grinst und tippt sich mit dem Finger an die Nase. »Stolz.«
* * *
Laut Tante Harriet hat die Tatsache, dass es ihnen gelungen ist, mich zu erschaffen, Onkel Paolo und das Immortis-Team blind gemacht. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass ich mich ihnen bewusst widersetze. Sie liegen ja ständig auf der Lauer und passen auf, dass mein Charakter nicht beschädigt wird und mich keine äußeren Einflüsse von der mir zugedachten Rolle in ihrem Team ablenken. Deshalb ist der Gedanke, ich könnte absichtlich gegen ihre Regeln verstoßen, für sie so abwegig wie die Vorstellung, dass ein Pantoffeltierchen ihnen unterm Mikroskop mit der Faust droht und vom Objektträger marschiert, weil es nicht länger beobachtet werden will.
Ich bin nicht sicher, ob ich Tante Harriets Meinung teile, aber ich lasse mich auf ihren Vorschlag ein. Schließlich hat ihre Kühlschrank-Idee ganz gut funktioniert. Vielleicht steckt doch mehr in ihr, als ich anfangs dachte. Sie ist, ob es mir gefällt oder nicht, ganz schnell zu meiner engsten Vertrauten in Little Cam geworden. Und gleichzeitig zur größten Gefahr für meine Zukunft als Wissenschaftlerin. Das zumindest wäre Onkel Paolos Überzeugung, wenn er herausbekäme, was sie alles gesagt und getan hat. Warum laufe ich nicht schnurstracks zu ihm und beichte alles?
Der Grund, weshalb ich es nicht tue, hat vermutlich viel damit zu tun, dass ich unbewusst Eios Gesicht gezeichnet habe. Ich träume immer noch von meinen Unsterblichen, klar… aber kann es
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