Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
verneinen. »Ich bin sicher… ich bin sicher, es hat alles seinen Grund. Die Geheimnisse und die Lügen. Es muss einen Grund geben, sonst würde Onkel Paolo uns die Wahrheit sagen.«
Sie betrachtet mich eingehend, als überlege sie, wie mein Schädel wohl aussieht. »Glaubst du wirklich?«
»Ich… Natürlich.« Mir ist mein kurzes Zögern bewusst und ich sehe, dass es auch ihr aufgefallen ist. Doch sie schiebt sich nur ein paar Locken aus der Stirn und seufzt.
»Sie werden uns schon alles erzählen, wenn sie es für richtig halten, oder? Wahrscheinlich wollen sie die Sache nur so spannend machen, um sich und ihre Arbeit als besonders wichtig und geheimnisvoll darzustellen. Lass dich von den ganzen starren Regeln und dem dauernden Desinfizieren nicht blenden, Pia. Wissenschaftler sind im Grunde genommen Schauspieler – nur meistens langweilige mit ziemlich schlechten Augen.«
Ich nicke zögerlich. »Und… wie genau soll ich jetzt hier rauskommen?«
»Oh, natürlich!« Sie springt auf und wirft den Schädel in eine halb ausgepackte Schachtel mit Schutzbrillen. »Fast hätte ich es über dem ganzen Geheimnis-Quatsch vergessen. Komm, lass uns nachschauen, ob die Luft rein ist.«
Das Tor ist nur einen Steinwurf von Tante Harriets Labor entfernt und die Baumreihe in der Mitte der Zufahrt bietet einen ausgezeichneten Sichtschutz zwischen ihm und dem Rest von Little Cam. Auf der Zufahrt ist niemand und das Tor wird lediglich von einem einsamen Wachmann bewacht. Er sitzt mit dem Rücken zu uns auf der anderen Seite des Zauns. Wir stehen in der Tür des kleinen Labors und versuchen lässig auszusehen.
»Was ist mit ihm?«, frage ich. »Und wie willst du das Tor öffnen?«
»Es wird für uns geöffnet werden«, antwortet sie zuversichtlich. »Komm mit.«
Ich folge ihr über die Zufahrt zu dem großen Carport mit dem Blechdach, unter dem die Jeeps stehen. Sie geht die Reihe der Wagen entlang bis zum letzten. Bei dem klopft sie auf die Kühlerhaube. »Das ist er. Jeden Tag um zwölf fährt ein kräftiger Wachmann raus zur Falkschlucht, um dort einen anderen kräftigen Wachmann abzulösen. Das Gleiche spielt sich noch einmal bei Einbruch der Dämmerung ab. Du brauchst nur auf den Jeep zu steigen, der rausfährt. Dann kommst du mit der Nachmittagsschicht wieder zurück und alles ist paletti. Natürlich können wir den Trick nicht jedes Mal bringen, sonst schnappen sie dich irgendwann. Wir müssen einfach Tag für Tag abwarten. Es gibt verschiedene Methoden, einen Tapir zu häuten.« Sie lacht.
»Da ist nichts, worunter ich mich verstecken kann«, gebe ich zu bedenken. »Hast du eine Plane oder Decken?«
»Pffft! Schalte deinen Verstand ein, Pia. Natürlich gibt es etwas, unter dem du dich verstecken kannst.« Sie klopft wieder auf die Kühlerhaube.
Ich begreife sofort. »Oh…«
»Jetzt gib schon zu! Das ist noch besser als meine Kühlschrank-Idee!«
Ich knie mich hin und luge unter das Fahrgestell des Jeeps. Ich könnte mich sicher irgendwo dazwischenquetschen.
»Es wird ziemlich heiß da unten, was für die meisten von uns ein Problem wäre, aber nicht für dich.« Harriet schaut sich um. »Du beeilst dich besser. Er wird bald aufkreuzen.«
»Nur weil ich mich nicht verbrennen kann, heißt das noch lange nicht, dass ich die Hitze nicht spüre!«
Sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Willst du raus oder nicht?«
Seufzend robbe ich unter den Jeep, klettere ins Fahrgestell und versuche eine Stelle zu finden, an der ich möglichst wenig Rohre und Leitungen berühre.
»Das ist die schlechteste Idee, die du je hattest, Tante Harriet.«
»Sie sind zwar alle mit den Vorbereitungen für den Corpus-Besuch zugange, aber blind sind sie deshalb nicht. Bei Einbruch der Dunkelheit bist du wieder da, sonst sind wir beide reif für den Scharfrichter. Und mein Hals ist nicht ganz so resistent wie deiner.«
»Versprochen.«
»Und verlauf dich nicht. Sonst mach ich dich einen Kopf kürzer, Unsterblichkeit hin oder her. Mir fällt schon was ein, ich schwör’s dir. Er kommt! Ich muss los. Viel Glück.« Sie streckt eine Hand mit hochgerecktem Daumen unter den Jeep, dann flitzt sie davon. Eine Minute später höre ich Schritte, sehe schwere schwarze Stiefel und spüre, wie der Jeep sich mehrere Zentimeter senkt, als der Wachmann einsteigt. Es sind immer noch ungefähr dreißig Zentimeter zwischen mir und dem Boden, aber der scheint sehr viel näher gekommen zu sein. Der Mann lässt den Motor an und meine diversen
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