Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
eine Decke, Eio… Gefühle… »Vielleicht ist es von Anfang bis Ende nur ein Spiel. Geburt, Leben, Tod. Nur dass einige ewig spielen dürfen.« Ich lege den Kopf schräg und betrachte das Bild einer blonden Frau. Sie steht über einem Lüftungsschacht und versucht ihren Rock unten zu halten. »Heißt das, ich gewinne?«
»Pia, du redest Unsinn«, stellt Onkel Antonio nervös fest.
»Na und?« Unsinn ist gut. Bedeutungslos, harmlos. Unsinn ist wie Onkel Paolos gefürchtetes Chaos. Vielleicht ist Vernunft sauberer und ordentlicher, aber Unsinn ist befreiend. Wenn man nur Unsinn reden würde, würde kein Mensch jemals etwas von einem erwarten, richtig? Man bräuchte keine Erwartungen zu erfüllen. Müsste keine Tests absolvieren.
»Warum hast du versucht abzuhauen?«, frage ich.
Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Ich hatte Angst. Ich wusste, wenn jemand herausfindet, was ich tue, sind Larula und Eio diejenigen, die dafür bezahlen müssen. Ich musste dafür sorgen, dass ihnen nichts passiert. Ich dachte, wenn wir abhauen… Aber ich habe es nicht einmal auf die andere Seite des Zauns geschafft. Sie haben mich auf frischer Tat ertappt, mit gepackten Koffern und allem.«
»Und dann haben sie dich eingesperrt?«, flüstere ich.
»Du hast den geschlossenen Flügel vom Laborblock B gesehen?«
Ich öffne den Mund, doch einen Moment lang bin ich sprachlos. Meine schlimmsten Befürchtungen, die, die ich nie laut auszusprechen wagte, sind bestätigt. »Dann sind diese Räume für Menschen gedacht? Wozu brauchen sie solche Räume, Onkel Antonio?«
»Für den Fall… dass es noch einmal zu einer Störung kommt. Zu einem Zwischenfall.«
»Alex und Marian.«
»Ja, Alex und Marian. Ich war zehn, als sie wegliefen. Sie waren etliche Jahre im Verzug mit einer Schwangerschaft. Ich erinnere mich, dass die Leute schon darüber Witze machten.« Er seufzt. »Sie waren verrückt nach einander, die beiden. Selbst ich habe das gesehen und ich war noch ein Kind. Sie waren immer zusammen, unzertrennlich. Dann kam die Meldung – ein Baby ist unterwegs. Alle konnten aufatmen, da immer noch alles nach Plan lief. Aber dann sind sie abgehauen.«
»Warum?«
»Sie hatten gute Gründe.« In seinen Augen steht wieder Angst. »Und fast hätten sie es auch geschafft. Nicht wie ich. Hm.«
»Was ist mit ihnen passiert?«, frage ich leise.
»Es gibt verschiedene Versionen. Einige sagen, ihre Verfolger hätten sie erschossen. Andere behaupten, sie hätten sich Steine an die Füße gebunden und seien in den Fluss gesprungen. Hätten sich und das ungeborene Mädchen ertränkt.«
Das Mädchen, das Onkel Antonios Partnerin hätte werden sollen. Was ging ihm durch den Kopf, als er es hörte, einem zehnjährigen Jungen, der unter Wissenschaftlern lebte und dazu auserkoren war, einen unsterblichen Menschen zu zeugen? »Man hat sie doch nicht… umgebracht?«
Wieder seufzt Onkel Antonio. »Ich weiß es nicht. Wirklich nicht.«
Schweigen. Ich habe viele Fragen, fürchte mich jedoch vor den Antworten. In dieser Nacht habe ich schon zu viel erfahren. Nur eines muss ich noch wissen.
»Warum sind sie weggelaufen, Onkel Antonio? Aus welchem Grund bringt sich jemand um?«
Eine ganze Weile antwortet er nicht, sondern fummelt an einem Radio herum. Außer Störgeräuschen ist nichts zu hören. Eio beobachtet ihn stumm. Gedankenverloren reibt er mit dem Daumen über seine Lippen. Endlich schaltet Onkel Antonio das Gerät wieder aus. Doch anstatt zu antworten, betrachtet er mich nur und kratzt sich am Kinn, als hätte er vergessen, dass er keinen Bart mehr hat. Ich will meine Frage schon wiederholen, als er endlich den Mund öffnet.
»Pia, ich möchte, dass du Little Cam verlässt. Für immer.« Er schaut mich direkt an. »Und ich möchte, dass du noch heute Nacht gehst.«
26
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder wegrennen soll. Ich schaue Eio an und sehe, dass er mich genauso eindringlich anblickt wie Onkel Antonio. Es besteht kein Zweifel, was er von der Idee hält. So ziemlich dasselbe hat er ja am Morgen schon zu mir gesagt.
»Ist das – ist das dein Ernst?«, frage ich.
»Mein voller Ernst«, erwidert Onkel Antonio.
»Ich soll Little Cam verlassen? Einfach so?« Ich schnippe mit den Fingern. »Es ist dein Ernst. Was um alles in der Welt –«
»Pia, du musst etwas verstehen«, unterbricht mich Onkel Antonio. »Das ist keine Laune von mir. Ich… ich wollte es schon eine ganze Zeit lang sagen.«
»Dass ich gehen soll?«, flüstere ich. Mir
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