Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
Turbinen sind so laut, dass Onkel Antonio mich nicht hören könnte, selbst wenn ich schreien würde. Es dauert eine Minute, bis ich ihn entdecke. In der hintersten dunklen Ecke macht er sich an einem Metallschrank an der Wand zu schaffen.
Ich höre ein Scheppern und ein Ratschen, als er den Schrank von der Wand wegrückt. Die Tür dahinter ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Sie reicht mir nur bis zum Nabel. Onkel Antonio öffnet sie und verschwindet darin, taucht dann wieder auf und zieht den Schrank vor den Durchgang.
Na, super. Das Ding sieht ziemlich schwer aus. Aber ich muss es versuchen. Sonst riskiere ich, Ai’oa nie mehr wiederzusehen. Ich gebe Onkel Antonio ein paar Minuten Vorsprung, dann drücke ich mich ächzend und fluchend gegen den Schrank, bis er gerade so weit von der Wand weg ist, dass ich mich dahinterzwängen kann. Es dauert noch einen Moment, bis ich den Türgriff gefunden habe, dann ziehe und zerre ich den Schrank wieder zurück vor die Wand.
Bis das geschafft ist, ist auch meine beachtliche Ausdauer am Ende. Ich muss innehalten und zu Atem kommen. Wäre es wirklich zu viel verlangt gewesen, mich nicht nur besonders ausdauernd, sondern auch besonders stark zu machen? Sobald ich im Immortis-Team bin, werde ich der Frage, wie man die körperliche Kraft genetisch steigern kann, oberste Priorität einräumen.
Der Tunnel ist feucht, schmutzig und dunkel und ich muss mich an den Wänden entlangtasten. Wenn ich daran denke, dass es hier womöglich Schlangen gibt, läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Trotzdem gehe ich weiter. Hat Onkel Antonio den Tunnel gegraben? Oder entstand er schon Jahre vorher, als Little Cam gebaut wurde? Ich kann mir vorstellen, dass Dr. Falks wahnhafte Angst vor einer gewaltsamen Schließung der Anlage der Grund zum Bau eines solchen Tunnels gewesen sein könnte. Falls es so war, wie hat Onkel Antonio ihn dann entdeckt?
Es dauert nicht lange, bis der Tunnel an einer Falltür im Dschungelboden endet. Sie ist mit Zweigen und Blättern getarnt, die ich, nachdem ich draußen bin, wieder sorgfältig auf der Klappe verteile. Onkel Antonio ist nirgends zu sehen, aber das ist kein Problem. Ich bin draußen und kenne den Weg von hier zum Dorf so gut wie den vom Glashaus zum Speisesaal.
Das Dorf liegt so still da wie in der Nacht, als ich es mit Eio zum ersten Mal aus dem Schutz der Bäume heraus sah. Kein Fest zur Begrüßung von Onkel Antonio. Aber klar, Onkel Antonio gehört schon viel länger zum Stamm als ich.
Er trifft sich bestimmt mit Eio, nur wo? Ich lausche, höre jedoch nichts.
Ich mache mich auf eine lange, beschwerliche Suche gefasst und fange in der nächsten Umgebung des Dorfes an. Im Süden von Ai’oa, zwischen den Häusern und dem Fluss, sehe ich links von mir ein Licht. Vorsichtig – und dank meiner außergewöhnlichen Fähigkeiten so gut wie geräuschlos – bewege ich mich zwischen den Bäumen hindurch und gelange zu einer Hütte in dichtem Gebüsch, die mir vorher nie aufgefallen ist. Sie ist vom Dorf aus nicht zu sehen und liegt vollkommen isoliert, was für die Ai’oaner ungewöhnlich ist. Sie leben eng beieinander.
Die Hütte hat ein kleines Fenster und ich setze mich mit dem Rücken zur Wand darunter und lausche.
»Das ist mir egal«, höre ich Eio sagen. Ich muss lächeln über den Zorn in seiner Stimme. Du kriegst die gleiche Standpauke verpasst, was? »Ich will sie wiedersehen. Immer wieder.«
»Du begreifst nicht, in welche Gefahr du sie damit bringst, Eio!«, ruft Onkel Antonio. »Du kannst es gar nicht begreifen.«
»Oh doch. Ich weiß, was sie mit dir gemacht haben, als du abhauen wolltest und sie dich erwischt haben.«
Was?
»Was sie mit Pia machen würden, wäre schlimmer und würde länger dauern. Sie können das Risiko, sie zu verlieren, nicht eingehen. Mich wollten sie einfach nur bestrafen. Aber Pia ist zu wertvoll, um sie aufs Spiel zu setzen. Sie würden sie einsperren, wie sie mich eingesperrt haben, aber statt eines Monats wären es bei ihr Jahre. Jahre, Eio.«
Das würden sie nicht! Niemals würden sie mir das antun! Ich schlucke, doch mein Mund ist trocken. Oder würden sie doch?
»Sie lebt ohnehin in einem Käfig. Wo wäre der Unterschied?«
»Du hältst dich für sehr erwachsen, wie, wenn du so redest? Was würdest du tun, Eio, wenn sie deinetwegen eingesperrt würde? Wolltest du dann noch leben?«
»Ich würde über den Zaun klettern und sie befreien.«
»Würdest du nicht, er ist –«
»Ich weiß, was
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