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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Silo pustete.
    Sarah kletterte auf die Ladefläche, um das erste Bündel Mais hinunterzuwerfen; ich folgte ihr. Halm- und Hülsenstückchen klebten mir im Gesicht und im Nacken. Der gehäckselte Mais war feucht und roch süßlich, mit einem kräftigen Aroma, das an Alkohol erinnerte. Silofutter, das im Winter an das Vieh verfüttert wurde, stand kurz vor der Gärung. Vielleicht sahen Kühe deshalb immer so gelassen aus – sie waren den ganzen Winter über beschwipst.
    Während Aaron sich um die Zugtiere kümmerte und Coop und Levi Mais über den Wagenrand hievten, ging Samuel auf Katie zu. In letzter Zeit war sie in seiner Gegenwart besonders unruhig geworden. Jedesmal, wenn Samuel auch nur in ihre Nähe kam, suchte sie möglichst schnell das Weite. Eines Tages hatte Sarah mir beiläufig erklärt, daß der November der Heiratsmonat war. Schon bald würden die heiratswilligen Paare in der Gemeindeversammlung bekanntgegeben. Unter anderen Umständen hätten Katie und Samuel zu ihnen gezählt.
    »Komm«, sagte Samuel. »Laß mich das machen.« Er legte Katie eine Hand auf die Schulter und nahm ihr dann ein großes Maisbündel ab. Mit kraftvollen Bewegungen hob er die Last auf das Förderband, während Katie zurücktrat und ihm zusah.
    »Samuel!« Auf Aarons Ruf hin lächelte Samuel entschuldigend und räumte seine Position wieder für Katie.
    Sofort griff sie nach einem weiteren Maisbündel, das gleich darauf knirschend das Band hinaufglitt. Die Maultiere, die inzwischen ausgespannt waren, stampften und scharrten mit den Hufen. Und Sarah, die kein Wort sagte, während sie neben ihrer Tochter weiterarbeitete, lächelte.
    An einem Tag, als schwere graue Wolken schon seit Stunden über den Himmel trieben und einen kräftigen Regenguß verhießen, sollte Teresa Polacci kommen, um mit mir ihre Aussage für die Verteidigung zu besprechen. In der Milchkammer, wo ich vor meinem Computer saß, drückte der Wind gegen die Fensterscheiben und pfiff durch die Türritzen.
    »Also, zuerst erörtern wir die Dissoziation.« Ich dachte laut nach. »Und dann –« Ich brach ab, als ein Kätzchen mein Bein hinaufkletterte. »He, Katie!«
    Katie lag bäuchlings auf dem Boden, und die anderen Kätzchen krabbelten ihr über Rücken und Beine. Mit einem Seufzer erhob sie sich und zog das Junge von meiner Jeans.
    »Also, wir stellen das Charakterprofil einer Frau vor, die ein Neugeborenes tötet, sprechen über Dissoziation und gehen dann deine Gespräche mit Dr. Polacci durch.«
    Katie wandte sich um. »Muß ich dabeisitzen und mir alles anhören?«
    »Im Gerichtssaal? Ja, natürlich. Du bist die Angeklagte.«
    »Warum läßt du mich das dann nicht einfach machen?«
    »Als Zeugin aussagen? Weil der Staatsanwalt dich in Stücke reißen würde. Wenn Dr. Polacci deine Geschichte erzählt, finden die Geschworenen dich eher sympathisch.«
    Katie blinzelte. »Was ist denn so unsympathisch daran einzuschlafen?«
    »Erstens, wenn du dich da hinstellst und behauptest, du wärst eingeschlafen und hättest das Baby nicht getötet, widersprichst du unserer Verteidigungsstrategie. Zweitens, deine Version ist unglaubwürdiger.«
    »Aber sie entspricht der Wahrheit.«
    Die Psychologin hatte mich davor gewarnt, daß Katie noch eine ganze Weile halsstarrig an ihrer amnesischen Erklärung der Ereignisse festhalten würde. »Tja, Dr. Polacci hat schon in vielen ähnlichen Fällen ausgesagt. Für dich wäre es das erste Mal im Zeugenstand. Meinst du nicht, wir fahren sicherer mit einer Expertin?«
    Katie hielt eines der Kätzchen auf der flachen Hand. »Wie viele Fälle hast du schon übernommen, Ellie?«
    »Hunderte.«
    »Gewinnst du immer?«
    Ich runzelte die Stirn. »Nicht immer, meistens.«
    »Meinen willst du doch gewinnen, nicht?«
    »Natürlich. Deshalb hab ich mich ja für diese Strategie entschieden. Und du solltest mitziehen, weil du schließlich auch gewinnen willst.«
    Katie hielt ihre Hand so, daß eines von den Kätzchen darauf hüpfen konnte. Dann sah sie mir in die Augen. »Aber wenn du gewinnst«, sagte sie, »verliere ich trotzdem.«
    Der Geruch von Sägemehl lag in der Luft, und das schrille Heulen von hydraulischen Sägen durchschnitt den Himmel, während fast sechzig amische Männer das Holzskelett einer riesigen Scheune zusammensetzten. Die Männer hatten Zimmermannsgürtel umgeschnallt, in denen Nägel und ein Hammer steckten. Kleine Jungs, die extra schulfrei bekommen hatten, versuchten, sich nützlich zu machen.
    Ich stand auf dem

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