Die einzige Wahrheit
wölbte sich wie ein blasser Himmel; und als ich die Pfosten der Boxen berührte, regnete Sägemehlkonfetti auf mich herab.
»Das ist schon eine tolle Leistung«, sagte ich. »Eine ganze Scheune an einem einzigen Tag zu bauen.«
»Es kommt einem nur so überwältigend vor, wenn man die ganze Arbeit allein erledigen muß.«
Eine ganz ähnliche Philosophie versuchte ich immer meinen Mandanten zu vermitteln – aber eine hochmotivierte Anwältin zu haben, die einem aus einer schwierigen Lage helfen sollte, war nichts im Vergleich zu der Möglichkeit, im Handumdrehen fünfzig Freunde und Verwandte aufbieten zu können.
»Ich muß mit Ihnen reden«, sagte Samuel verlegen.
Ich lächelte ihn an. »Schießen Sie los.«
Verwundert über meine Ausdrucksweise, runzelte er die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf. »Katie … geht’s ihr gut?«
»Ja. Und was Sie heute beim Essen zu ihr gesagt haben, war sehr nett.«
Samuel zuckte die Achseln. »Nicht der Rede wert.« Er wandte sich um. »Ich mach mir Gedanken über dieses Gericht.«
»Sie meinen den Prozeß?«
»Ja. Den Prozeß. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich, daß er sich gar nicht so sehr von allem anderen unterscheidet. Martin Zook hat ja schließlich auch nicht mutterseelenallein vor diesem riesigen Holzhaufen gestanden.«
Sollte das wieder ein Beispiel für hintergründige amische Logik sein, so konnte ich nicht recht folgen. »Samuel, ich verstehe nicht ganz –«
»Ich möchte ihr helfen«, unterbrach er mich. »Ich möchte Katie vor Gericht helfen, damit sie nicht so allein ist.«
Samuels Gesicht war ernst und entschlossen. Er hatte lange darüber nachgedacht. »Eine Scheune zu bauen ist laut eurer Ordnung nicht verboten«, sagte ich vorsichtig. »Aber ich weiß nicht, was der Bischof davon halten würde, wenn Sie sich bereit erklären, als Zeuge in einem Mordprozeß auszusagen.«
»Ich werde mit Bischof Ephram sprechen«, sagte Samuel.
»Und wenn er nein sagt?«
Samuels Mund nahm einen harten Zug an. »Ein englischer Richter wird sich nicht um die Meinding scheren.«
Nein, den würde es nicht interessieren, ob ein Zeuge von seiner Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen wird. Aber Samuel vielleicht. Und Katie.
Ich sah über seine Schulter hinweg auf die stabilen Wände, die rechten Winkel, das Dach, das den Regen abhalten würde. »Wir werden sehen«, erwiderte ich.
»Und jetzt?«
Katie biß den Faden ab. »Jetzt bist du fertig.«
Ich guckte sie mit großen Augen an. »Ist nicht dein Ernst.« »Doch.« Katie legte die Hände auf den kleinen Quilt mit dem einfachen Muster aus Gelb, Lila, Dunkelblau und Rosa. Als ich kurz nach meiner Ankunft auf der Farm zugeben mußte, nicht mal einen Knopf annähen zu können, hatten Sarah und Katie beschlossen, mir Stopfen und Sticken und Nähen beizubringen. Jeden Abend, wenn die Familie nach dem Essen zusammensaß – um Zeitung zu lesen oder Backgammon zu spielen oder, wie Elam, einfach einzunicken, hatten Katie und ich uns über meinen kleinen Quilt gebeugt und ihn zusammengenäht. Und jetzt war er fertig.
Sarah blickte von ihrer Stopfarbeit auf. »Ellie ist fertig?«
Ich nickte strahlend. »Wollt ihr mal sehen?«
Sogar Aaron legte seine Zeitung beiseite. »Aber natürlich«, sagte er heiter. »Das ist die größte Sensation, seit Omar Lapp seine acht Hektar an diesen Bauunternehmer aus Harrisburg verkauft hat.« Er senkte die Stimme. »Und fast genauso unglaublich.« Aber auch er lächelte, als Katie mir half, den Quilt aus dem Rahmen zu nehmen, und ich ihn stolz hochhielt.
Ich wußte, wenn es Katies Quilt gewesen wäre, hätte sie nicht so ein Aufhebens gemacht, obwohl er weitaus mehr Lob verdient hätte. Ich wußte, daß die Stiche auf ihrer Seite des Quilts sauber und gleichmäßig waren, meine dagegen torkelten wie betrunken an den eingezeichneten Markierungslinien entlang. »Na, der ist aber hübsch«, sagte Sarah.
Elam, der in seinem Sessel döste, schlug ein Auge auf. »Damit kann sie sich im Winter ja nicht mal die Füße wärmen.«
»Er sollte ja auch klein ausfallen«, widersprach ich und wandte mich dann an Katie. »Stimmt doch, oder?«
»Ja. Es ist ein Babyquilt. Für die vielen Kinder, die noch kommen werden«, sagte sie mit einem Lächeln.
Ich verdrehte die Augen. »Darauf würde ich nicht wetten.«
»In deinem Alter kriegen die meisten amischen Frauen immer noch Kinder.«
»In meinem Alter sind die meisten amischen Frauen auch seit zwanzig Jahren verheiratet«,
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