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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ich wußte, daß sie das empörte. In ihrer Vorstellung hatte sie das Kind nicht getötet, und somit hatte ihre Unfähigkeit, sich an den Mord zu erinnern, nichts mit Unzurechnungsfähigkeit zu tun. Jedesmal, wenn ich sie um Hilfe bat, wandte sie sich einfach ab. Sie war zu einem unberechenbaren Faktor geworden, und ich war daher erst recht entschlossen, nicht auf einen Freispruch aufgrund von berechtigten Zweifeln zu setzen. Da ich auf Unzurechnungsfähigkeit plädierte, würde Katie nicht in den Zeugenstand müssen.
    »Katie«, sagte ich geduldig. »Ich hab schon mehr Prozesse hinter mir als du. Du wirst mir glauben müssen.«
    Sie spießte ein Blatt auf. »Du glaubst mir ja auch nicht.«
    Wie sollte ich auch? Ihre Version der Ereignisse hatte sich seit dem Beginn dieser Farce etliche Male geändert. Entweder konnte ich die Geschworenen überzeugen, daß Katies sprunghaftes Gedächtnis auf ihre Dissoziation zurückzuführen war, oder sie würden einfach glauben, daß sie gelogen hatte. Absichtlich spießte ich ein Blatt in der Mitte auf, nicht am Stengelansatz. »Nein«, sagte Katie und nahm es mir aus der Hand. »Du machst das falsch. So geht das.«
    Ich überließ ihr die Rolle der Expertin. Mit ein bißchen Glück genügte ja vielleicht schon Dr. Polaccis Aussage, um einen Freispruch zu erreichen. Wir arbeiteten schweigend weiter, als plötzlich die Schuppentür aufflog. Die Sonne beschien von hinten einen großen Mann in einem Anzug. Das mußte Coop sein; jedenfalls war er der einzige Mann, der mir einfiel, der etwas anderes trug als Hosen mit Hosenträgern. Lächelnd stand ich auf, als er hereinkam.
    »Mensch«, sagte Stephen grinsend, »du bist aber verdammt schwer zu finden.«
    Einen Moment lang konnte ich mich nicht rühren. Dann fand ich meine Sprache wieder. »Was machst du denn hier?«
    Er lachte. »Na, das ist zwar nicht unbedingt die Begrüßung, die ich mir auf der Fahrt hierher ausgemalt habe, aber wie ich sehe, bist du gerade in einem Mandantengespräch.« Stephen reichte Katie die Hand. »Hallo«, sagte er. »Stephen Chatham.« Er sah sich in dem Schuppen um und schob die Hände in die Taschen. »Ist das hier so eine Art Beschäftigungstherapie?«
    Ich hatte meine Fassung noch nicht wieder zurückgewonnen. »Die Ernte bringt Geld«, sagte ich schließlich.
    Katie, die mich die ganze Zeit nicht aus den Augen ließ, sagte klugerweise kein Wort. Ich konnte Stephen nicht ansehen, ohne mir vorzustellen, daß Coop neben ihm stand. Stephen hatte nicht Coops blaßgrüne Augen. Stephen sah zu gelackt aus. Stephens Lächeln wirkte einstudiert.
    »Weißt du, ich hab viel zu tun«, sagte ich zurückhaltend.
    »Soweit ich sehe, arbeitest du zur Zeit nur an einem Fall, und dabei scheint’s um zehn Packungen Marlboro Light zu gehen. Und deshalb solltest du mir dankbar sein. Ich vermute, daß es bei den Amischen nicht allzu viele juristische Bibliotheken gibt. Deshalb hab ich mir erlaubt, ein paar Urteile für dich rauszusuchen.« Er griff in eine Mappe und holte einen dicken Papierstapel hervor. »Drei Neonatizide im Staat Pennsylvania. In einem Fall hat die Verteidigung, ob du’s glaubst oder nicht, auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert.«
    »Woher weißt du, daß ich das auch vorhabe?«
    Stephen zuckte die Achseln. »Dein Fall wird sehr aufmerksam verfolgt, Ellie. So was spricht sich rum.«
    Ich wollte gerade etwas erwidern, als Katie sich plötzlich zwischen uns hindurchdrängte und aus dem Schuppen rannte, ohne sich noch einmal umzusehen. Sarah lud Stephen ein, zum Abendessen zu bleiben, aber er lehnte dankend ab. »Laß uns irgendwo essen gehen«, schlug er vor. »Wie wär’s mit einem von diesen gemütlichen amischen Restaurants in der Stadt?«
    Als ob ich, wenn ich schon mal von der Farm wegkam, ausgerechnet wieder das gleiche essen wollte. »Das sind keine Amischen«, sagte ich. »Echte Amische würden niemals mit ihrem Glauben Reklame machen.«
    »Na, dann bleibt uns immer noch McDonald’s.«
    Ich warf einen Blick in die Küche, wo Sarah und Katie das Abendessen vorbereiteten. Ich hätte ihnen dabei geholfen, wenn Stephen nicht gekommen wäre. Sarah sah über die Schulter zu uns herüber und wandte sich verlegen wieder ab, als unsere Blicke sich trafen.
    Ich verschränkte die Arme. »Wieso nicht hier?«
    »Ich hab bloß gedacht, daß du –«
    »Dann hast du eben falsch gedacht, Stephen. Ich würde lieber mit den Fishers zu Abend essen.« Es war mir wichtig, daß Sarah und Katie wußten, daß ich

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