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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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haben.«
    »Ich spiel für dich das Publikum.«
    »Du lenkst mich ab.«
    Coop grinste. »Das ist das Netteste, was du je zu mir gesagt hast.«
    Mit einem Seufzer machte ich mich auf den Weg zurück in die Milchkammer, wo mein Computer grünlich vor sich hin leuchtete. »Geh doch einfach ins Haus und laß dir von Sarah ein Stück Kuchen geben.«
    »Damit ich das hier verpasse?« Coop lehnte sich gegen den Milchtank. »Lieber nicht. Mach einfach weiter. Tu so, als wäre ich gar nicht da.«
    Mit einem skeptischen Blick setzte ich mich auf die Milchkiste, die mir als Bürostuhl diente, und fing an, meine Zeugenliste durchzugehen. Einen Moment schaltete ich den Computer ab. »Ich hab kein Wort gesagt«, beteuerte Coop.
    »Mußtest du auch nicht.« Ich stand auf und hielt ihm meine Hand hin. »Machen wir einen Spaziergang?«
    Wir schlenderten gemächlich durch den Obstgarten auf der Nordseite der Farm, wo die Apfelbäume standen wie verkrümmte alte Frauen. Der Duft ihrer Früchte umschwebte uns, hell und süß wie Zuckerwatte. »Am Abend vor Beginn eines Prozesses hat Stephen sich immer ein Steak gebraten«, sagte ich gedankenverloren. »Er meinte, so ein halbrohes Stück Fleisch zu essen habe etwas Primitives an sich.«
    »Und dann wundern sich die Anwälte, wieso ihnen der Ruf vorauseilt, die reinsten Raubtiere zu sein«, sagte Coop lachend. »Hast du auch ein Steak gegessen?«
    »Nee. Ich hab mir meinen Pyjama angezogen und laut einen Aretha-Franklin-Hit gesungen.«
    »Tatsächlich?«
    Ich warf den Kopf in den Nacken und schmetterte aus voller Kehle: »R-E-S-P-E-C-T!«
    »Zwecks Aufbau des Selbstbewußtseins?«
    »Ach was«, sagte ich. »Ich mag Aretha Franklin einfach.«
    »Wenn du willst, sing ich den Refrain.«
    »O Gott, mein ganzes Leben hab ich auf einen Mann wie dich gewartet.«
    Er drehte mich in seinen Armen und gab mir einen Kuß. »Das will ich auch schwer hoffen«, sagte er. »Wo willst du eigentlich hin, wenn das alles hier vorbei ist, El?«
    »Tja, ich …« Ich wußte es nicht, ehrlich gesagt. Und ich wollte nicht darüber nachdenken: Darüber, daß ich selbst auf der Flucht gewesen war, als ich in Katie Fishers Leben stolperte. »Ich könnte nach Philadelphia zurückgehen. Oder bei Leda unterkommen.«
    »Was ist mit mir?«
    Ich lächelte. »Du könntest bestimmt auch bei Leda unterkommen.«
    Aber es war Coop ernst mit der Frage. »Du weißt genau, was ich meine, Ellie. Wie wär’s, wenn du zu mir ziehst?«
    Ich hatte das Gefühl, daß die Welt um mich herum enger wurde. »Ich weiß nicht«, sagte ich und sah ihm in die Augen.
    Coop schob die Hände in die Taschen; ich sah ihm an, daß er sich nur mit Mühe eine abfällige Bemerkung darüber verkneifen konnte, wie ich mich damals ihm gegenüber verhalten hatte. Ich wollte ihn berühren, ihn bitten, mich zu berühren, aber das konnte ich nicht. Wir hatten schon einmal vor dieser Entscheidung gestanden, vor hundert Jahren, und noch immer schien da ein tiefer Abgrund zu sein, noch immer verschlug es mir den Atem. Aber diesmal waren wir älter. Ich würde ihn nicht anlügen. Er würde nicht einfach gehen. Ich pflückte einen Apfel vom Baum und reichte ihn ihm.
    »Soll das ein Olivenzweig sein?«
    »Kommt drauf an«, erwiderte ich. »Geht’s um die Psalmen oder um Opfergaben?«
    Coops Lächeln war versöhnlich. »Ich hab eigentlich mehr an das vierte Buch Mose gedacht, wo so viele Kinder gezeugt werden.« Er schob seine Finger zwischen meine, ließ sich rückwärts auf das weiche Gras sinken und zog mich auf sich. Dann küßte er mich, bis ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, schon gar nicht über meine Verteidigungsstrategie. Das hier war sicher. Das hier war mir vertraut.
    »Ellie«, flüsterte Coop, aber vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. »Laß dir Zeit.«
    »Okay«, sagte ich streng, »ein Deal: Du läßt mich jetzt den Wassereimer raustragen und kriegst dafür zwei Möhren.«
    Statt einer Antwort kniff Nugget mich in die Schulter. Mit einem Aufschrei ließ ich den Wassereimer fallen und flüchtete aus der Box. »Dann kriegst du eben nichts mehr zu trinken.« Draußen blieb ich abrupt stehen, weil ich einen schwachen Laut von oben gehört hatte, wie das Miauen eines Kätzchens.
    »Hallo?« rief ich. »Ist da jemand?«
    Als keine Antwort kam, stieg ich die schmale Leiter zum Heuboden hoch, wo die Strohballen und ein Teil des Viehfutters gelagert wurden. Sarah saß in einer Ecke, das Gesicht in ihrer Schürze vergraben, und

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