Die einzige Wahrheit
schluchzte.
»He«, sagte ich sanft und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Sie fuhr zusammen und wischte sich rasch das Gesicht ab. »Ach Ellie. Ich bin bloß hier hochgeklettert, um … um …«
»Dich mal richtig auszuweinen. Das versteh ich gut, Sarah.«
»Nein.« Sie zog die Nase hoch. »Ich muß zurück ins Haus. Aaron will bald sein Mittagessen.«
Ich zwang sie, mich anzusehen. »Ich werde alles tun, was ich kann, um sie zu retten, das weißt du.«
Sarah wandte sich ab, starrte hinaus über das symmetrische Muster der Felder. »Ich hätte niemals zulassen dürfen, daß sie Jacob besucht … Aaron hatte von Anfang an recht.«
»Du konntest doch unmöglich wissen, daß sie einen Englischen kennenlernen und schwanger werden würde.«
»Doch.« sagte Sarah leise. »Das ist alles meine Schuld.«
Ich hatte tiefes Mitgefühl mit dieser Frau. »Vielleicht hätte sie sich auch von alleine entschieden, ihn zu besuchen. Vielleicht wäre es so oder so passiert.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich liebe meine Kinder. Ich liebe sie, und sieh dir an, was daraus geworden ist.«
Ich umarmte sie. Ich konnte ihre Worte hören, spürte ihren Atem an meinem Schlüsselbein. »Ich bin ihre Mutter, Ellie. Ich muß das in Ordnung bringen. Aber ich kann nicht.«
Ich holte tief Luft. »Dann werde ich es tun müssen.«
Zum Gericht zu kommen war ein taktisches Manöver. Leda, Coop und Jacob trafen gegen halb sieben auf der Farm ein, jeder im eigenen Wagen. Katie, Samuel und Sarah wurden sofort in Coops Auto gesetzt, weil er der einzige Fahrer war, der nicht aus der amischen Gemeinde ausgeschlossen war. Weder Jacob noch Leda war wohl bei dem Gedanken, ihre Wagen auf Aaron Fishers Grundstück stehen zu lassen, deshalb mußte Leda hinter Jacob her zu ihrem Haus fahren, wo sie seinen Wagen abstellen würden, bevor sie zurückkamen, um mich abzuholen. Ich war schon fast sicher, daß wir zu spät kommen würden, als Aaron aus dem Stall trat, die Augen auf die Menschen in Coops Auto gerichtet.
Er hatte unmißverständlich klargemacht, daß er nicht am Prozeß teilnehmen würde. Obwohl der Bischof gewiß Verständnis dafür gehabt hätte, konnte Aaron selbst es nicht gutheißen. Aber vielleicht steckte doch mehr ihn ihm, als ich gedacht hatte. Wenn seine Grundsätze ihn schon daran hinderten, seine Tochter zu ihrem Prozeß zu begleiten, so würde er sich sicher angemessen von ihr verabschieden wollen. Coop ließ das hintere Seitenfenster herunter, damit Aaron den Kopf hereinstecken und mit Katie sprechen konnte. Doch als er sich vorbeugte, sagte er nur ganz leise: »Sarah, komm.«
Mit niedergeschlagenen Augen drückte Katies Mutter die Hand ihrer Tochter und stieg wieder aus. Sie trat neben ihren Mann, die Augen voller Tränen, aber sie ließ sie nicht fließen, selbst als ihr Mann sie zurück ins Haus führte.
Leda sah die Übertragungswagen als erste. Sie waren auf dem gesamten Parkplatz vor dem Gericht verteilt, mit Satellitenschüsseln auf dem Dach und mit den grellbunten Abkürzungen der Fernsehsender an den Seiten. Vor den Stufen zum Gericht warteten Reporter mit Mikrofonen und Kameraleute. Sie standen einander in zwei Reihen gegenüber, als wollten sie gleich einen Squaredance vollführen und nicht über das Schicksal eines jungen Mädchens berichten.
»Sieh dir nur all diese Menschen an«, hauchte Leda.
»Tja«, murmelte ich. »Sind Reporter menschlich?«
Plötzlich tauchte Coops Gesicht neben meinem Fenster auf. »Was machen die hier? Ich dachte, du hättest den Antrag durchgebracht.«
»Im Gerichtssaal selber sind keine Kameras zugelassen«, sagte ich. »Außerhalb ist alles erlaubt.« Seit Richterin Ledbetter diese Entscheidung getroffen hatte, hatte ich kaum noch einen Gedanken an das Problem mit den Medien verschwendet – ich war viel zu beschäftigt mit den Prozeßvorbereitungen gewesen. Aber natürlich würde das Medieninteresse an dieser Story nicht einfach schwinden, bloß weil keine Kameras erlaubt waren. Ich stieg aus dem Wagen, wohl wissend, daß es etwa zwei Minuten dauern würde, bis die Presseleute merkten, wer ich war. Ich klopfte auf das Rückfenster von Coops Auto, um Katies Aufmerksamkeit von den Reportern abzulenken.
»Komm«, sagte ich. »Jetzt oder nie.«
»Aber –«
»Es gibt keinen anderen Weg, Katie. Wir müssen uns durch sie hindurchkämpfen. Ich weiß, daß das unangenehm ist, aber wir haben keine Wahl.«
Katie schloß kurz die Augen, bevor sie ausstieg. Sie betete. Dann stieg sie
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