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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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mit überraschender Anmut aus und schob ihre Hand in meine.
    Die Journalisten gerieten in helle Aufregung, als sie Katies Kapp und Schürze erblickten. Kameras schwenkten herum; Fragen prasselten auf uns nieder wie Wurfspieße. Ich spürte, wie Katie bei jedem aufflammenden Blitzlicht zusammenzuckte. Sie hielt den Kopf gesenkt und vertraute darauf, daß ich sie die Treppe hochführte. »Kein Kommentar«, rief ich, schob mich wie ein Schiffsbug durch die wogende Reporterflut und zog Katie in meinem Kielwasser hinter mir her.
    Ich kannte mich inzwischen gut in dem Gebäude aus und dirigierte Katie zur nächstgelegenen Damentoilette. Mit einem Blick unter die Kabinen vergewisserte ich mich, daß wir allein waren, und lehnte mich dann gegen die Tür, damit niemand mehr hereinkommen konnte. »Alles in Ordnung mit dir?«
    Sie zitterte, ihre Augen waren vor Verwirrung ganz groß, aber sie nickte. »Ja. Ich hatte bloß nicht damit gerechnet.«
    Ich hatte auch nicht damit gerechnet, und ich war verpflichtet, ihr zu sagen, daß es noch wesentlich schlimmer werden würde, bevor es irgendwann wieder besser wurde, doch statt dessen holte ich tief Luft und nahm tief in meiner Lunge den Geruch von Katies Angst wahr. Ich stieß sie beiseite, stürzte in die nächste Kabine und erbrach mich.
    Auf allen vieren, das Gesicht rot und heiß, drückte ich die Stirn gegen die kühle Kunststoffwand der Kabine. Ich mußte eine Weile kurz und flach atmen, bis ich in der Lage war, etwas Toilettenpapier abzureißen, um mir den Mund abzuwischen.
    Katies Hand legte sich auf meine Schulter. »Ellie, alles in Ordnung mit dir ?«
    Die Nerven, dachte ich, aber das würde ich meiner Mandantin gegenüber nicht zugeben. »Ich muß irgendwas Falsches gegessen haben«, sagte ich, setzte mein fröhlichstes Lächeln auf und kam auf die Beine. »Also. Gehen wir?«
    Katie fuhr immer wieder mit den Händen über das glatte, polierte Holz des Tisches. An manchen Stellen war der Lack rauh geworden, abgegriffen von den Händen zahlloser Angeklagter, die schon an demselben Platz gesessen hatten. Wie viele von ihnen, fragte ich mich, waren unschuldig gewesen?
    Gerichtssäle vor Eröffnung eines Prozesses sind keine friedlichen Bastionen, wie Anwaltsserien im Fernsehen uns glauben machen. Statt dessen herrscht hektische Betriebsamkeit: der Schreiber sucht nach der richtigen Akte, der Gerichtsdiener putzt sich geräuschvoll die Nase, die Leute im Zuschauerraum spekulieren über ihre Automatenkaffeebecher hinweg. Heute ging es noch lauter zu als sonst, und ich konnte hin und wieder sogar ein paar Sätze verstehen. Am häufigsten ging es um Katie, die begafft wurde wie ein Tier im Zoo, zur Schau gestellt, aus ihrem natürlichen Lebensraum hierher verschleppt, um die Neugier der anderen zu befriedigen.
    »Katie«, sagte ich leise, und sie fuhr heftig zusammen.
    »Wieso haben die noch nicht angefangen?«
    »Es ist noch zu früh.« Sie hatte die Hände jetzt unter ihre Schürze geschoben, und ihr Blick wanderte unstet durch den Saal, bis er bei George Callahan hängenblieb, der zwei Meter entfernt am Tisch der Anklagevertretung saß.
    »Er sieht nett aus«, sagte sie nachdenklich.
    »Das wird er aber nicht sein. Es ist seine Aufgabe, die Geschworenen von all den schlimmen Dingen zu überzeugen, die er über dich sagen wird.« Ich beschloß, daß es für Katie das beste wäre, wenn sie wußte, was auf sie zukam. »Katie, es wird schwer für dich werden, alles mit anhören zu müssen.«
    »Warum?«
    Ich sah sie erstaunt an. »Warum es schwer wird?«
    »Nein. Warum wird er Lügen über mich erzählen? Warum sollten die Geschworenen ihm glauben und nicht mir?«
    Wie sollte ich einer jungen Amischen erklären, daß es in einem Prozeß letztlich nur auf die bessere Story ankam? »So funktioniert das Rechtssystem in der englischen Welt nun mal«, sagte ich. »Das gehört zu dem Spiel.«
    »Spiel«, sagte Katie langsam, dachte über das Wort nach, bis es für sie einen Sinn ergab. »Wie Football!« Sie lächelte mich an, mußte wohl an eines unserer früheren Gespräche denken. »Ein Spiel, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt, aber man wird dafür bezahlt.«
    Mir wurde schon wieder übel. »Ja«, sagte ich. »Genau.«
    »Bitte erheben Sie sich für die ehrenwerte Richterin Philomena Ledbetter!«
    Ich erhob mich und sorgte dafür, daß Katie das auch tat, als die Richterin durch eine Seitentür in den Gerichtssaal geeilt kam. Als sie die Stufen hochstieg, wallte ihre Robe hinter

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