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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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meine Antwort herunter. »Du möchtest, daß ich das Angebot annehme? Okay, das werde ich. Aber zuerst möchte ich, daß du etwas für mich tust.«
    Dank einiger Mandantinnen von mir, die noch ihre Strafen absaßen, war ich schon etliche Male im Staatsgefängnis in Muncy gewesen. Es war ein abschreckender Ort, selbst für mich als Anwältin, die ich die Realität des Gefängnislebens kannte. Alle in Pennsylvania verurteilten Frauen kamen zunächst nach Muncy, wo sie ihre Strafe abbüßten, wenn sie nicht in den lockereren Vollzug nach Cambridge Springs in Erie verlegt wurden. Katie würde mindestens vier bis sechs Wochen in Muncy verbringen müssen, und ich wollte, daß sie sah, worauf sie sich einließ.
    Der Direktor, ein Mann mit dem unglückseligen Namen Duvall Shrimp und der noch unglückseligeren Angewohnheit, auf meine Brüste zu stieren, führte uns eilfertig in sein Büro. Ich erklärte ihm nicht, warum ich Katie mitgebracht hatte, auch wenn es ihm merkwürdig vorkommen mußte, daß eine junge amische Frau neben mir saß, während ich ihn um eine Führung durch das Gefängnis bat, und Shrimp fragte auch nicht. Er ging mit uns durch die Sperre. Die vergitterten Türen fielen hinter uns zu, und Katie stockte vor Schreck der Atem.
    Als erstes führte er uns in den Eßsaal, wo rechts und links von einem Mittelgang Tische und Bänke aufgereiht standen. Eine lange Schlange von Frauen bewegte sich zur Essensausgabe und ließ sich Tabletts mit unappetitlich aussehenden Klumpen in unterschiedlichen Grautönen aushändigen. »Gegessen wird in diesem Saal«, sagte er. »Ausnahmen bilden nur Insassinnen, die aufgrund von Disziplinierungsmaßnahmen in der Einzelzellenabteilung sitzen, und Schwerstkriminelle. Die essen in ihren Zellen.« Wir beobachteten, wie Häftlingsgrüppchen sich auf die Tische verteilten und uns mit unverhohlener Neugier beäugten. Dann führte Shrimp uns eine Treppe hinauf in den Zellenblock. Ein Fernseher, der am Ende des Ganges an der Wand befestigt war, warf eine bunte Lichtpfütze auf das Gesicht einer Frau, die ihre Arme durch die Zellengitter baumeln ließ und Katie hinterherpfiff. »Huuhuu«, rief sie. »Bist du nicht ein bißchen früh dran – für Halloween?«
    Andere Häftlinge lachten und kicherten, posierten in ihren winzigen Käfigen wie die Attraktionen einer Tiershow. Sie starrten Katie an, als wäre sie zur Besichtigung freigegeben. Als sie an der letzten Zelle vorbeiging und im Flüsterton ein Gebet sprach, spuckte eine Gefangene aus, und ihr Speichel landete direkt neben Katies Schuh.
    Im Hof für den Freigang kam Shrimp in Plauderlaune. »Hab Sie länger nicht gesehen. Wie kommt’s, haben Sie in letzter Zeit mehr Männer als Frauen verteidigt?«
    »Nein. Sie kriegen mich hier so selten zu sehen, weil meine Mandanten alle freigesprochen werden.«
    Er nickte in Katies Richtung. »Wer ist sie?«
    Er beobachtete sie, wie sie den leeren Hof abschritt, an den Ecken stehenblieb, zum Himmel hochsah, der aus dieser Perspektive von Stacheldrahtrollen umrahmt wurde. In dem Wachturm oberhalb von Katie standen zwei Männer mit Gewehren. »Jemand, der sich die Immobilie unbedingt ansehen sollte, bevor er den Mietvertrag unterschreibt«, sagte ich.
    Katie kam wieder zu uns und zog ihr Schultertuch enger um sich. »Das ist alles«, sagte Shrimp. »Ich hoffe, Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht.«
    Ich dankte ihm und kehrte mit Katie zurück zum Parkplatz. Sie stieg ins Auto und blieb während der gesamten zweistündigen Fahrt in tiefes Schweigen versunken. Irgendwann schlief sie ein, träumte und wimmerte leise. Ich hielt mit der einen Hand das Lenkrad und strich ihr mit der anderen übers Haar.
    Als wir in Lancaster vom Highway abbogen, wachte Katie auf. Sie drückte die Stirn an die Fensterscheibe und sagte: »Bitte, sag George Callahan, daß ich sein Angebot ablehne.«
    Ich sprach die letzten Worte meines Eröffnungsplädoyers mit besonderem Nachdruck und fuhr herum, als jemand anfing zu klatschen. »Vorzüglich. Klar und überzeugend«, sagte Coop und trat aus der Dunkelheit des Stalls. Er deutete auf die schläfrigen Kühe. »Aber die Geschworenen sind gnadenlos.«
    Ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen. »Du solltest nicht hier sein.« Er schloß die Hände hinter meinem Rücken. »Oh, doch. Genau hier sollte ich sein.«
    Ich stieß die Hände gegen seine Brust und schob ihn weg. »Im Ernst, Coop. Morgen fängt der Prozeß an. Du wirst nicht viel Freude an mir

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