Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Familie über Gebühr belasten.«
    Richterin Ledbetter wandte sich an den Staatsanwalt. »Mr. Callahan, möchten Sie etwas dazu sagen?«
    »Ja, Euer Ehren. Die Amischen können sich gern nach ihrer Uhr richten, solange niemand sonst dadurch beeinträchtigt wird, aber während eines laufenden Verfahrens sollte man von ihnen verlangen können, daß sie sich an unseren Zeitplan halten. Meiner Meinung nach ist das nur ein Trick von Ms. Hathaway, um die eklatanten Unterschiede zwischen den Amischen und der übrigen Welt deutlich zu machen.«
    »Das ist kein Trick, George«, sagte Ellie leise. »Das ist Milchwirtschaft, schlicht und einfach.«
    »Außerdem«, fuhr George Callahan fort, »habe ich noch einen Zeugen, und seine Aussage zu verschieben, wäre meinem Fall abträglich. Heute ist Freitag, und die Geschworenen könnten sie dann erst am Montag morgen hören. Aber bis dahin wäre die heutige Gesamtwirkung verlorengegangen.«
    »Auch wenn das vermessen klingen mag, Euer Ehren, darf ich Sie darauf hinweisen, daß bei vielen Prozessen, an denen ich beteiligt war, Tagesordnungen im letzten Moment abgeändert wurden, weil sich unvorhergesehene Situationen ergeben haben, wie die Versorgung eines Kindes, ein Arztbesuch und andere Notfälle, die sich gelegentlich im Leben von Anwälten und sogar Richterinnen ereignen? Wieso können die Regeln nicht auch für meine Mandantin ein wenig gebeugt werden?«
    »Na, dazu hat sie selbst bereits einen beachtlichen Beitrag geleistet«, sagte George trocken.
    »Nun halten Sie mal die Luft an, alle beide«, sagte Richterin Ledbetter. »So verlockend es auch wäre, hier vor dem Berufsverkehr wegzukommen, ich werde Ihre Bitte abschlagen, Ms. Hathaway, zumindest solange die Anklage ihren Fall vorträgt. Sobald Sie an der Reihe sind, können wir gerne um 15 Uhr vertagen, wenn Sie das wünschen.« Sie sah George an. »Mr. Callahan, rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf.«
    »Stellen Sie sich vor, Sie sind ein junges Mädchen«, sagte Dr. Brian Riordan, der forensische Psychologe, der als sachverständiger Zeuge für die Anklage aussagte. »Sie fangen eine Affäre mit einem jungen Mann an, von dem Ihre Eltern nichts wissen dürfen. Sie schlafen mit dem jungen Mann. Einige Wochen später stellen Sie fest, daß Sie schwanger sind. Sie erledigen weiter Ihre täglichen Arbeiten, obwohl Sie etwas müder sind als gewöhnlich. Sie meinen, das Problem wird sich schon von selbst lösen. Wenn es sich in Ihren Kopf drängt, schieben Sie es wieder beiseite und nehmen sich vor, morgen darüber nachzudenken. Derweil tragen Sie Kleidung, die ein wenig weiter ist, und achten darauf, daß niemand Sie zu fest umarmt.
    Dann wachen Sie eines Nachts mit starken Schmerzen auf. Sie wissen, was mit Ihnen passiert, aber Sie haben nur den einen Gedanken: Ihr Geheimnis weiter zu bewahren. Sie schleichen sich aus dem Haus und bringen ganz allein, in aller Stille, ein Kind zur Welt, das Ihnen nichts bedeutet. Dann beginnt das Neugeborene zu schreien. Sie legen ihm die Hand auf den Mund, weil sonst alle wach würden. Sie drücken fester zu, bis das Baby aufhört zu weinen, bis es sich nicht mehr bewegt. Dann, weil Sie es loswerden müssen, wickeln Sie es in ein Hemd und verstecken es einfach irgendwo. Sie sind erschöpft, also gehen Sie hinauf in Ihr Zimmer. Sie wollen nur noch schlafen, und Sie reden sich ein, daß Sie sich später um alles Weitere kümmern werden. Als die Polizei Sie am nächsten Tag nach dem Baby fragt, sagen Sie, Sie wüßten nichts davon, so, wie Sie es sich selbst die ganze Zeit eingeredet haben.«
    Die Geschworenen saßen vorgebeugt da, wie gebannt von dem packenden Szenario, das Riordan gezeichnet hatte. »Wo bleibt der berühmte Mutterinstinkt?« fragte George.
    »Frauen, die ihr Neugeborenes töten, haben sich von der Schwangerschaft völlig distanziert«, erklärte Riordan. »Für sie hat die Geburt einen ähnlich emotionalen Wert wie der Abgang eines Gallensteins.«
    »Haben Frauen, die ihr Kind töten, ein schlechtes Gewissen?«
    »Sie meinen, ob Sie Reue empfinden?« Riordan spitzte die Lippen. »Ja, allerdings. Aber nur, weil es ihnen leid tut, daß ihre Eltern sie in einem so schlechten Licht sehen – nicht wegen des toten Babys.«
    »Dr. Riordan, wie kam Ihre Begegnung mit der Angeklagten zustande?«
    »Ich wurde beauftragt, für diesen Prozeß ein Gutachten über sie zu erstellen.«
    »Wie gingen Sie dabei vor?«
    »Ich las die offengelegten Akten in diesem Fall, studierte, wie die

Weitere Kostenlose Bücher