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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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als solcher betrachtet. Alles ist relativ.«
    »Dann haben Sie also etwa einmal pro Jahr mit einem solchen Fall zu tun?
    Riordan neigte den Kopf. »Das dürfte ungefähr stimmen.«
    »Das von Ihnen dargelegte Charakterprofil und Ihre Behauptungen über Katie basieren also auf der Erfahrung, die Sie in Gesprächen mit insgesamt … zehn Frauen gesammelt haben?«
    »Ja.«
    Ellie zog die Augenbrauen hoch. »Dr. Riordan, haben Sie nicht im Journal of Forensic Sciences geschrieben, daß Frauen, die Neonatizid begehen, nicht bösartig sind? Daß Sie niemandem unbedingt Schaden zufügen wollen?«
    »Richtig. Für gewöhnlich denken sie nicht in solchen Kategorien. Sie nehmen ihr Handeln lediglich egozentrisch als etwas wahr, das ihnen nützen wird.«
    »Dennoch haben Sie in den Fällen, wo Sie als Experte aufgetreten sind, Haftstrafen für diese Frauen empfohlen?«
    »Ja. Wir müssen der Gesellschaft ein Signal geben, daß Mörder nicht ungeschoren davonkommen.«
    »Verstehe. Ist es richtig, Dr. Riordan, daß Frauen, die Neonatizid begehen, die Tötung ihres Neugeborenen zugeben?«
    »Nicht sofort.«
    »Aber schließlich, wenn sie mit Beweisen konfrontiert oder eindringlich befragt werden, brechen sie zusammen. Ist das richtig?«
    »So habe ich es erlebt, ja.«
    »Während Ihres Gesprächs mit Katie, haben Sie sie da gebeten, Vermutungen darüber anzustellen, was mit dem Baby passiert ist?«
    »Ja.«
    »Wie lautete ihre Erklärung?«
    »Sie hat mehrere angeboten.«
    »Hat sie nicht gesagt: ›Vielleicht ist es einfach gestorben, und irgendwer hat es versteckt‹?«
    »Unter anderem, ja.«
    »Sie haben gesagt, daß Frauen, die Neonatizid begehen, unter Druck zusammenbrechen. Nun hat Katie aber dieses hypothetische Szenario selbst vorgeschlagen, anstatt aufzugeben und den Mord zu gestehen. Bedeutet diese Tatsache nicht, daß genau das möglicherweise wirklich passiert ist?«
    »Die Tatsache bedeutet, daß sie gut lügen kann.«
    »Hat Katie je gestanden, das Baby getötet zu haben?«
    »Nein. Allerdings hat sie auch die Schwangerschaft zunächst nicht zugegeben.«
    Ellie ging über diesen Kommentar hinweg. »Was genau hat Katie gestanden?«
    »Daß sie eingeschlafen ist, aufwachte und das Kind verschwunden war. Sie konnte sich an sonst nichts erinnern.«
    »Und daraus haben Sie abgeleitet, daß sie einen Mord begangen hat?«
    »Es war die nächstliegende Erklärung, angesichts des allgemeinen Verhaltensmusters.«
    Genau die Antwort hatte Ellie erhofft. »Als Fachmann auf dem Gebiet wissen Sie doch bestimmt, was ein dissoziativer Zustand ist.«
    »Allerdings.«
    »Könnten Sie diesen Begriff für diejenigen unter uns erläutern, die ihn nicht kennen?«
    »Ein dissoziativer Zustand tritt ein, wenn eine Person einen Teil ihres Bewußtseins abspaltet, um eine traumatische Situation zu überstehen.«
    »Wie eine mißhandelte Frau, die sich psychisch absentiert, wenn ihr Mann sie verprügelt?«
    »Richtig«, antwortete Riordan.
    »Stimmt es, daß Menschen, die in einem dissoziativen Zustand sind, Gedächtnislücken haben, aber ansonsten recht normal wirken?«
    »Ja.«
    »Ein dissoziativer Zustand ist kein gewähltes, bewußtes Verhalten?«
    »Richtig.«
    »Stimmt es, daß extremer psychischer Streß einen dissoziativen Zustand auslösen kann?«
    »Ja.«
    »Könnte der Tod eines geliebten Menschen extremen psychischen Streß auslösen?«
    »Vielleicht.«
    »Gehen wir noch einmal zurück. Nehmen wir mal an, daß Katie ihr Kind wollte. Sie brachte es zur Welt und erlebte tragischerweise mit, wie es starb, trotz ihrer verzweifelten Bemühungen, seine Atmung in Gang zu halten. Könnte der Schock dieses Todes einen dissoziativen Zustand auslösen?«
    »Das wäre möglich«, stimmte Riordan zu.
    »Und wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, wie das Kind gestorben ist, könnte diese Gedächtnislücke aufgrund der Dissoziation entstanden sein?«
    Riordan schmunzelte herablassend. »Alles möglich, Ms. Hathaway, doch leider ist das von Ihnen entworfene Szenario nicht schlüssig. Sie wollen behaupten, daß die Angeklagte an jenem Morgen in einen dissoziativen Zustand geriet, der wiederum zu ihren Erinnerungslücken führte. Meinetwegen. Aber Sie können unmöglich beweisen, daß der durch den natürlichen Tod des Babys ausgelöste Streß sie in diesen Zustand versetzt hat. Es ist ebensogut möglich, daß sie durch den Streß der Wehen dissoziierte. Oder als Folge des Mordes, eine mit extremem Streß verbundene Handlung.
    Verstehen Sie,

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