Die einzige Wahrheit
Schwangerschaft führt für gewöhnlich entweder zur Totgeburt oder zur Frühgeburt gefolgt von Lungenentzündung und neotaler Sepsis.«
»Moment mal«, sagte ich. »Wollen Sie damit sagen, daß Katie sich eine Infektion zugezogen hatte, die möglicherweise die Gesundheit ihres Babys noch vor der Geburt gefährdet hatte?«
»Genau das. Außerdem ist es ungemein schwer, die Krankheit für eine rechtzeitige Therapie zu diagnostizieren. Die Schwangere bekommt grippeähnliche Symptome – Fieber, leichte Kopf- oder Gliederschmerzen –, nur wenige Stunden bevor die Geburt einsetzt.«
»Was sind die Folgen für das Neugeborene?«
»Perinataler Schwächezustand, Fieber und Atemnot.« Er hielt inne. »Laut Fallstudien liegt die Mortalitätsrate bei Neugeborenen selbst nach einer Behandlung zwischen dreißig und fünfzig Prozent.«
»Ein mit Listeriose infiziertes Neugeborenes stirbt mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit , auch wenn es behandelt wird?«
»Richtig.«
»Wie erkrankt man an Listeriose?«
»Den mir bekannten Studien zufolge ist der Verzehr von infizierten Nahrungsmitteln die häufigste Übertragungsart. Insbesondere nichtpasteurisierte Milch sowie daraus hergestellter Käse.«
»Nichtpasteurisierte Milch«, wiederholte ich.
»Ja. Und Menschen, die mit Tieren zu tun haben, sind besonders gefährdet.«
Ich legte eine Hand auf Katies Schulter. »Dr. Zeigler, wenn ich Ihnen den Obduktionsbericht von Katies Neugeborenem geben und Ihnen sagen würde, daß Katie auf einer Milchfarm lebt und während ihrer Schwangerschaft täglich nichtpasteurisierte Milch getrunken sowie zweimal am Tag beim Melken der Kühe geholfen hat, was für Schlüsse würden Sie dann daraus ziehen?«
»Aufgrund dieser Lebensumstände, durch die sie dem Bakterium Listeria monocytogenes potentiell ausgesetzt war, würde ich sagen, daß sie sich die Infektion während der Schwangerschaft zugezogen hat.«
»Hatte das Neugeborene Fisher die Symptome eines mit Listeriose infizierten Säuglings?«
»Ja. Es kam zu früh zur Welt und litt unter Atmungsstörungen. Es wurden Anzeichen für Granulomatosis infantiseptica bei ihm festgestellt, einschließlich Lebernekrose und Lungenentzündung.«
»Könnte das zum Tod geführt haben?«
»Absolut. Entweder durch die Komplikationen, die sich aus der perinatalen Asphyxie ergeben haben, oder einfach durch die Infektion.«
»Was hat Ihrer Meinung nach den Tod des Neugeborenen Fisher verursacht?« fragte ich.
»Asphyxie, infolge der Frühgeburt, aufgrund der durch Listeriose bedingten Chorioamnionitis.« Er lächelte. »Das klingt bombastisch, bedeutet aber im Grunde nichts anderes, als daß eine Kette von Ereignissen zum natürlichen Tod geführt hat. Das Baby starb praktisch vom Augenblick seiner Geburt an.«
»Ist Katie Fisher Ihrer Ansicht nach verantwortlich für den Tod ihres Kindes?«
»Strenggenommen, ja«, sagte Owen. »Schließlich hat ihr Körper das Listeria monocytogenes an den Fetus weitergegeben. Aber die Infektion geschah natürlich ohne Absicht. Man kann Ms. Fisher genauso wenig Schuld zusprechen wie einer Mutter, die unwissentlich das AIDS-Virus an ihr ungeborenes Kind weitergibt.« Er blickte Katie an, die mit gesenktem Kopf dasaß. »Das ist kein Mord. Es ist einfach nur schrecklich traurig.«
Zu meiner Freude war George sichtlich aus dem Konzept gebracht. Genau darauf hatte ich gesetzt – kein Anklagevertreter würde aus eigenem Antrieb eine Listeriose aufdecken, und offenbar hatte George nicht damit gerechnet. Er stand auf, strich seine Krawatte glatt und ging zu meinem Zeugen.
»Listeria«, sagte er. »Ist das ein verbreitetes Bakterium?«
»Ja«, erwiderte Owen. »Es ist fast überall zu finden.«
»Wie kommt es dann, daß wir nicht sterben wie die Fliegen?«
»Das Bakterium ist sehr verbreitet, aber die Krankheit ziemlich selten. Nur eine von zwanzigtausend Schwangeren erkrankt daran.«
»Eine von zwanzigtausend. Und die Angeklagte hat es voll erwischt, wie Sie sagen, weil sie nichtpasteurisierte Milch getrunken hat.«
»Das ist meine Vermutung, ja.«
»Wissen Sie genau, daß die Angeklagte nichtpasteurisierte Milch getrunken hat?«
»Nun, ich habe sie nicht persönlich gefragt, aber sie lebt nun mal auf einer Milchfarm.«
George schüttelte den Kopf. »Das beweist gar nichts, Dr. Zeigler. Ich könnte auf einer Hühnerfarm leben und gegen Eier allergisch sein. Können Sie mit Gewißheit sagen, daß sich, wenn die Angeklagte beim Abendessen nach einem
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