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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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den Briefkasten stecken?«
    Wir sahen Ledas Wagen nach, bis er verschwunden war, dann drehte ich mich zu Katie um, die Arme verschränkt. »Was soll das?«
    Katie ging los. »Ich wollte nur mal ein Weilchen allein sein.«
    »Na, ich weiche dir nicht von der Seite –«
    »Ich meinte, allein mit dir.« Sie ging in die Hocke und pflückte einen großen, welligen Farnwedel, der am Straßenrand wuchs. »Ich halte das nicht aus, wenn alle immer etwas von mir wollen.«
    »Sie machen sich Sorgen um dich.« Ich sah zu, wie Katie sich unter einem Elektrozaun hindurchduckte und dann über eine Weide ging, auf der es von Jungkühen wimmelte. »He – das ist unbefugtes Betreten.«
    »Die Weide gehört dem alten John Lapp. Der hat bestimmt nichts dagegen, wenn wir eine Abkürzung nehmen.«
    Ich suchte mir vorsichtig einen Weg zwischen den Kuhfladen hindurch, sah, wie die Tiere mit den Schwänzen wedelten und uns schläfrig anblinzelten, während wir über ihre Wiese marschierten. Katie bückte sich und pflückte Pusteblumen und trockene Gänsedisteln. »Du solltest Coop heiraten«, sagte sie.
    Ich lachte laut auf. »Wolltest du darüber mit mir sprechen? Mach dir erst mal Gedanken um dich selbst, um meine Probleme kannst du dich nach dem Prozeß kümmern.«
    »Du mußt ihn heiraten. Du mußt einfach.«
    »Katie, ob verheiratet oder nicht, ich werde das Baby bekommen.«
    Sie zuckte zusammen. »Darum geht es nicht.«
    »Worum geht es dann?«
    »Wenn er erst einmal fort ist«, sagte sie leise, »kriegst du ihn nicht wieder.«
    Deshalb also war sie so aufgewühlt – Adam. Wir gingen eine Weile schweigend weiter, bis wir den Elektrozaun auf der anderen Seite der Weide passiert hatten. »Du könntest immer noch eine Zukunft mit Adam haben. Deine Eltern sind nicht dieselben Menschen wie vor sechs Jahren, als Jacob gegangen ist. Es könnte alles anders sein.«
    »Nein, das könnte es nicht.« Sie zögerte und setzte dann zu einer Erklärung an. »Nur weil man jemanden liebt, heißt das noch lange nicht, daß der Herr es so vorgesehen hat, daß man mit diesem Menschen auch zusammen ist.« Plötzlich blieben wir stehen, und ich begriff zwei Dinge auf einmal: daß Katie mich zu dem kleinen amischen Friedhof gebracht hatte und daß ihre schmerzlichen Gefühle gar nichts mit Adam zu tun hatten. Sie hatte das Gesicht dem kleinen, beschädigten Grabstein ihres Kindes zugewandt, und ihre Hände umklammerten die Pfosten des Lattenzauns. »Die Menschen, die ich liebe«, flüsterte sie, »werden mir weggenommen.«
    Sie begann, leise zu weinen, die Arme um den Körper geschlungen. Dann krümmte sie sich, wimmerte so kläglich, wie ich es noch nie bei ihr gehört hatte: nicht, als sie wegen Mordes angeklagt wurde, nicht, als ihr Kind bestattet wurde, nicht, als sie unter Bann gestellt wurde. »Es tut mir leid«, schluchzte sie. »Es tut mir ja so leid.«
    »Nicht doch, Katie.« Ich berührte sie sacht an der Schulter, und sie drehte sich um und warf sich in meine Arme.
    Die Wildblumen, die Katie gepflückt hatte, lagen verstreut um unsere Füße herum, wie eine Opfergabe. »Es tut mir so leid«, wiederholte sie mit erstickter Stimme. »Ich hab das nicht gewollt.«
    Plötzlich wurde mir eiskalt. »Was hast du nicht gewollt?«
    Katie hob das Gesicht. »Mein Baby zu töten.«

17
A ls Katie mit starkem Seitenstechen die Zufahrt hochgerannt kam, waren die Männer schon beim Melken. Sie hörte die Geräusche aus dem Stall. Durch die weit geöffnete Tür hindurch sah sie Levi eine Schubkarre schieben, Samuel hockte vor einer Kuh und setzte die Pumpe an das Euter. Ein Saugen, ein Ziehen, und schon strömte die weiße Flüssigkeit durch den Schlauch in die Milchkanne.
    Katie schlug eine Hand vor den Mund und lief neben den Stall, wo sie sich übergab, bis ihr Magen restlos leer war.
    Sie hörte Ellie, die die Zufahrt heraufgehumpelt kam, nach ihr rufen. Ellie konnte nicht so schnell laufen wie sie, und Katie war ihr davongerannt. Katie schlich sich an der Stallwand entlang, bis sie die abgeernteten Stoppelfelder erreichte. Sie boten ihr jetzt keinen Schutz mehr, aber sie würden die Distanz zwischen ihr und Ellie vergrößern. Sie hob ihre Röcke, lief zum Teich und versteckte sich hinter der großen Eiche.
    Katie streckte eine Hand aus, studierte ihre Finger und ihr Handgelenk. Wo waren sie jetzt, diese Bakterien? Waren noch welche in ihr, oder hatte sie sie alle an ihr Baby weitergegeben?
    Sie schloß die Augen vor dem Bild ihres neugeborenen Sohnes, wie

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