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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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und hätte nicht im Traum daran gedacht, irgendeinen Fall zu übernehmen, schon gar nicht so einen – und jetzt hatte ich mich freiwillig bereit erklärt, Katie Fishers Aufpasserin zu spielen. Fassungslos und wie durch Watte hindurch hörte ich, wie der Richter den Einspruch ablehnte, die Kaution unter den vorgeschlagenen Bedingungen auf 20 000 Dollar festsetzte und mich in das Gefängnis steckte, das ich mir selbst gebaut hatte.
    Plötzlich standen Frank und Leda vor mir. Leda lächelte unter Tränen, und Frank starrte mich aus seinen ernsten, dunklen Augen an. »Bist du sicher, daß du das willst, Ellie?« fragte er.
    Leda antwortete für mich. »Aber natürlich. Schließlich rettet sie unsere Katie.«
    Ich schaute hinunter zu dem Mädchen neben mir, das noch immer zusammengesunken auf seinem Stuhl saß. Seit unserer kurzen Unterhaltung in dem kleinen Lagerraum hatte sie kein Wort mehr gesagt. Jetzt blickte sie mich plötzlich an – und ich sah Wut in ihren Augen auflodern. Sofort stieg Ärger in mir hoch. Meinte sie etwa, ich machte das alles nur zum Spaß?
    Ich kniff die Augen zusammen und wollte ihr gerade die Meinung sagen, als mich jemand sanft am Arm berührte. Eine ältere, verhärmte Version von Katie in Amisch-Kluft bat um meine Aufmerksamkeit. »Meine Tochter ist Ihnen dankbar«, sagte sie unsicher. »Ich auch. Doch mein Mann wird nicht wollen, daß eine Englische bei uns wohnt.«
    Leda herrschte sie an. »Wenn Bischof Ephram es richtig findet, daß Katie eine englische Anwältin bekommt, dann wird er es auch richtig finden, wenn die Anwältin selbst die Kautionsbedingungen erfüllt. Und wenn die gesamte Gemeinde bereit ist, die Regeln Katie zuliebe zu beugen, könntest du dann nicht einmal auf ihrer Seite stehen, Sarah, statt auf der Seite deines halsstarrigen Mannes?«
    In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie gehört, daß Leda die Stimme erhob. Jetzt jedoch schrie sie ihre Schwester geradezu an, bis die sich regelrecht vor ihren Worten duckte. Leda hakte sich bei mir ein. »Komm mit, Ellie«, sagte sie. »Du mußt deine Sachen packen.« Sie ging Richtung Tür, blieb dann stehen und warf Sarah und ihrer Tochter einen Blick zu. »Ihr habt gehört, was der Richter gesagt hat. Katie muß sich immer in Ellies Nähe aufhalten. Also los, gehen wir.«
    Ich ließ mich von Leda aus dem Gerichtssaal ziehen und spürte, wie sich Katie Fishers lodernder Blick in meinen Rücken brannte.
    Die Straße zur Farm der Fishers verlief parallel zu einem Bach, der die rückwärtige Grenze ihres rund vierzig Hektar großen Landes bildete. Diese Welt war ein Kaleidoskop von Farben: irischgrüner Mais, rote Silos und über allem ein unglaublich hoher, blaßblauer Himmel. Doch am auffälligsten fand ich den Geruch, eine Mischung von Düften ebenso deutlich wie die Gerüche in einer Stadt: der Schweiß von Pferden, Geißblatt, der kräftige Geruch frisch gepflügter Erde. Wenn ich die Augen schloß und tief einatmete, geschah ein kleines Wunder: Ich war wieder elf und sollte den Sommer hier verbringen.
    Wir hatten Frank abgesetzt und meine Koffer geholt, und jetzt, eine Stunde später, bog Leda in die lange Einfahrt zum Haus der Fishers ein. Ich starrte aus dem Fenster und sah zwei Männer, die ein Maultiergespann über ein Feld trieben. Die Tiere zogen an einem gewaltigen, altmodisch aussehenden Ackergerät – mir war schleierhaft, was das war. Anscheinend warf es die Heuhaufen hoch, die schon auf dem Boden lagen. Als der Wagen knirschend über den Kies rollte, blickte der größere der beiden auf, zog an den Zügeln und nahm dann seinen Hut ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und sah zu Ledas Wagen herüber. Schließlich reichte er dem kleineren Burschen die Zügel und rannte Richtung Farmhaus.
    Er war dort, zehn Sekunden nachdem der Wagen angehalten hatte. Leda und ich stiegen zuerst aus und ließen Katie und Sarah von der Rückbank aussteigen. Der Mann, breitschultrig und blond, fing an, in einer Sprache zu sprechen, die ich nicht verstand. Zum erstenmal wurde mir klar, daß Englisch gar nicht Katies Muttersprache war, und auch nicht die der Menschen, bei denen ich jetzt einzog. Sarah antwortete ihm in derselben Sprache.
    Meine hohen Absätze schwankten unsicher im Kies. Ich zog meine Kostümjacke aus, weil mir zu warm wurde, und musterte den Mann, der zu unserer Begrüßung gekommen war.
    Er war zu jung, um diese Schreckgestalt von Vater zu sein, von dem ich im

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