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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sich um und führte mich in ihr Schlafzimmer. Es war sauber und ordentlich, aber nicht gerade das Zimmer eines jungen Mädchens. Kein Poster von Leonardo DiCaprio, keine Plüschtiere; das einzig Persönliche in diesem Zimmer waren die bunten Quiltdecken auf den beiden Betten.
    »Sie können das Bett da haben«, sagte Katie, und ich ging hinüber und setzte mich darauf, bevor ich richtig verstand, was sie da eigentlich gesagt hatte. Sie erwartete, daß ich in diesem Zimmer wohnte, ihrem Zimmer, während ich auf der Farm war.
    Es war schon schlimm genug, daß ich überhaupt hier sein mußte; aber wenn ich nicht mal nachts ungestört sein konnte … Ich holte tief Luft, um Katie höflich beizubringen, daß ich keinesfalls mit ihr zusammen in einem Zimmer schlafen würde. Doch Katie wanderte im Zimmer umher und ließ sich dann auf alle viere nieder, um unters Bett zu schauen. Schließlich hockte sie sich auf den Boden und sagte mit verzagter Stimme: »Die haben meine Sachen mitgenommen.«
    »Wer?«
    »Ich weiß nicht. Jemand ist hier gewesen und hat meine Sachen mitgenommen. Mein Nachthemd. Meine Schuhe.«
    »Soviel ich weiß –«
    Sie fuhr herum. »Sie wissen doch gar nichts«, sagte sie provozierend.
    Plötzlich wurde mir klar, daß ich, wenn ich in diesem Zimmer blieb und neben Katie schlief, nicht die einzige wäre, die keine Geheimnisse mehr hüten könnte. »Ich wollte sagen, soviel ich weiß, hat die Polizei dein Zimmer durchsucht. Sie müssen irgendwas gefunden haben, das den Verdacht gegen dich erhärtet hat.« Katie setzte sich mit hängenden Schultern auf ihr Bett. »Hör mal. Laß uns doch damit anfangen, daß du mir erzählst, was gestern morgen passiert ist.«
    »Ich hab kein Baby getötet. Ich hab nicht mal ein Baby geboren.«
    »Das hast du schon mal gesagt.« Ich seufzte. »Okay. Wahrscheinlich gefällt es dir nicht, daß ich hier bin, und mir würden ganz sicher auch tausend Dinge einfallen, die ich lieber täte. Aber dank Richter Gorman müssen wir beide es nun mal eine Weile hier miteinander aushalten. Ich treffe mit meinen Mandanten immer ein Abkommen: Ich werde dich nicht fragen, ob du ein Verbrechen begangen hast, niemals. Und dafür sagst du mir immer die Wahrheit, wenn ich dir irgendwelche anderen Fragen stelle.« Ich beugte mich vor und guckte ihr in die Augen. »Du sagst, daß du das Baby nicht getötet hast? Okay, meinetwegen. Es ist mir völlig egal, ob du es getan hast oder nicht, weil ich mich trotzdem vor Gericht für dich einsetzen werde, und weil ich dich persönlich nicht verurteile. Aber wenn du bestreitest, das Baby überhaupt bekommen zu haben – was eine erwiesene Tatsache ist –, also Katie, wirklich, das macht mich wütend.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Mir liegen mindestens drei ärztliche Berichte vor, in denen steht, daß dein Körper alle Anzeichen dafür aufweist, daß du kürzlich entbunden hast. Ich kann dir einen Bluttest unter die Nase halten, der dasselbe belegt. Wie kannst du also dasitzen und mir erzählen, du hättest kein Baby bekommen?«
    Als Verteidigerin wußte ich die Antwort bereits – sie konnte dasitzen und es mir erzählen, weil sie es glaubte, hundertprozentig. Doch bevor ich auch nur in Erwägung zog, meine Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit aufzubauen, mußte ich sichergehen, daß Katie Fisher mich nicht an der Nase herumführte. Katie wirkte nicht geistesgestört, und sie verhielt sich normal. Wenn dieses Mädchen verrückt war, dann war ich die Heilige Jungfrau Maria.
    »Wie können Sie dasitzen«, sagte Katie, »und behaupten, Sie würden mich nicht verurteilen?«
    Ihre Worte trafen mich so unvorbereitet wie eine Ohrfeige. Ich, die gewandte Anwältin mit einer ansehnlichen Erfolgsbilanz und einer ellenlangen Liste von Empfehlungen, hatte den Kardinalfehler begangen, eine Mandantin schon innerlich zu verurteilen, bevor ihr Prozeß überhaupt angefangen hatte. Ein Prozeß, in dem ich sie vertreten sollte. Ihre Behauptung, kein Kind bekommen zu haben, war eine Lüge, und ich konnte das nicht einfach abtun, ohne mich zu fragen, was für Lügen sie noch auftischen würde – eine Haltung, die mich eher zur Staatsanwältin machte als zur Verteidigerin.
    Ich hatte bedenkenlos Vergewaltiger, Mörder und Pädophile verteidigt. Doch da dieses Mädchen ihr eigenes Baby getötet hatte, eine Tat, die mir ganz und gar unbegreiflich war, wollte ich, daß sie hinter Schloß und Riegel kam.
    Ich schloß die Augen. Angeblich getötet, rief ich mir selbst in

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