Die einzige Wahrheit
von Namen. »Das sind ein paar Psychologen, die in den letzten Jahren diesen Ansatz vertreten haben. Es sind alles klinische Psychologen – keine forensischen. Der Grund dafür ist, daß die Mehrheit der forensischen Psychologen, die sich mit Neugeborenenmord befassen, der Meinung sind, daß die Frauen sich nicht in einem dissoziativen Zustand befinden – sondern lediglich keinen emotionalen Zugang zu ihrer Schwangerschaft haben. Sie halten es für möglich, daß eine Dissoziation zum Zeitpunkt der Geburt eintreten kann. Und ein gewisses Maß an Dissoziation ist ohnehin völlig normal, wenn man an die Schmerzen einer Geburt denkt.«
Sie nickte. »Und warum töten sie die Kinder?«
»Weil sie keinerlei emotionale Verbindung zu ihnen spüren – die Geburt hätte genausogut auch ein Gallensteinabgang sein können. Im Augenblick der Tötung erleiden sie keinen Realitätsverlust – sie sind bloß verängstigt, konfus und unfähig, mit der Geburt eines Kindes fertig zu werden, das sie nicht wollen.«
»Anders ausgedrückt«, sagte ich knapp, »eindeutig schuldig.« Coop zuckte die Achseln. »Ich brauche dir ja wohl nicht zu sagen, wie die Erfolgschancen stehen, wenn die Verteidigung auf unzurechnungsfähig plädiert.« Er reichte mir eine andere Liste, die dreimal so lang war wie die erste. »Diese Psychologen vertreten den allgemein akzeptierten Standpunkt. Aber jeder Fall ist anders. Wenn Katie sich nach wie vor weigert, das Geschehene einzugestehen, obwohl sie des Mordes beschuldigt wird und ihre Schwangerschaft medizinisch zweifelsfrei nachgewiesen ist, könnte noch mehr dahinter stecken, das bei ihr den Verdrängungsmechanismus aufrechterhält.«
»Darüber wollte ich mit dir sprechen. Läßt sich irgendwie herausbekommen, ob sie vergewaltigt worden ist?«
Coop pfiff durch die Zähne. »Das wäre ein verdammt guter Grund, ein Neugeborenes loszuwerden.«
»Und ob. Deshalb wäre ich gerne diejenige, die es herausfindet, möglichst vor der Staatsanwaltschaft.«
»Das wird nicht leicht sein, so viele Monate danach, aber ich werde darauf achten, wenn ich mit ihr rede.« Er runzelte die Stirn. »Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit – daß sie die ganze Zeit gelogen hat.«
»Coop, ich bin Anwältin. Mein Lügendetektor läuft täglich auf Hochtouren. Ich wüßte es, wenn sie lügt.«
»Vielleicht auch nicht, El.«
»Die Amischen sind nicht gerade als Lügner verschrien.«
»Auch nicht für Kindstötungen.«
»In ihrem Kopf hat es dieses Baby nie gegeben«, sagte ich ruhig. Coop dachte darüber nach. »In ihrem Kopf vielleicht nicht«, erwiderte er.
Katie ballte die Fäuste im Schoß und sah aus, als wäre sie zum Tode verurteilt worden. »Dr. Cooper möchte dir nur ein paar Fragen stellen«, erklärte ich. »Entspann dich ruhig.«
Coop lächelte sie an. Wir saßen am Bach, weit weg vom Haus und ungestört. Er holte einen Block aus der Tasche. »Katie, ich möchte dir vorab sagen, daß alles, was du mir erzählst, unter uns bleibt. Ich bin hier, um dir zu helfen.«
Sie sah erst mich an, dann Coop.
Er lächelte. »Also – wie fühlst du dich?«
»Ganz gut«, sagte sie mißtrauisch. »So gut, daß ich nicht mit Ihnen reden muß.«
»Ich kann mir vorstellen, wieso du das so siehst«, entgegnete Coop freundlich. »Das geht vielen Menschen so, die noch nie mit einem Psychologen gesprochen haben. Und dann merken sie doch, daß es manchmal leichter ist, mit einer fremden Person über persönliche Dinge zu reden als mit einem Mitglied der Familie.«
Katies Rücken wirkte jetzt etwas weniger steif, ihre Hände öffneten sich in ihrem Schoß. Während er weiter mit sanfter Stimme mit ihr sprach, beobachtete ich Coop, seinen Charme, der einem sofort das Gefühl gab, eine besondere Verbindung zu ihm zu haben.
Mit einem Ruck besann ich mich wieder auf meine Mandantin und hörte Coop fragen: »Kannst du mir etwas über dein Verhältnis zu deinen Eltern erzählen?«
Katie sah mich an, als hätte sie die Frage nicht verstanden. »Sie sind meine Eltern«, sagte sie stockend.
»Verbringst du viel Zeit mit ihnen?«
»Ja, draußen auf dem Feld oder in der Küche, beim Essen, beim Gebet.« Sie sah Coop unsicher an. »Ich bin immer mit ihnen zusammen.«
»Verstehst du dich gut mit deiner Mutter?«
Katie nickte. »Ich bin ihr ein und alles.«
»Katie, hast du je irgendwelche Anfälle gehabt oder ein Schädeltrauma?«
»Nein.«
»Was ist mit starken Bauchschmerzen?«
»Einmal«, Katie lächelte. »Ich hatte
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