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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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akzeptieren?«
    »Die Gesangsabende und das – also, das ist sozusagen ein kleiner Flirt mit der Welt der Englischen . Die Leute glauben, wenn ihre Kinder Gelegenheit haben, sich ein bißchen auszutoben, werden sie den weltlichen Dingen eher den Rücken kehren und sich ganz für das amische Leben entscheiden.«
    »Tun die meisten das?«
    »Ja. Alle ihre Freunde sind Amische. Und ihre Familien. Wer der Glaubensgemeinschaft nicht beitritt, ist allein. Außerdem müssen wir getauft sein, wenn wir heiraten wollen.«
    »Willst du auch heiraten?«
    »Wer will das nicht?« sagte Katie.
    Coop grinste. »Na, Ellie beispielsweise«, flüsterte er, gerade so laut, daß ich es hören konnte. Ich war so damit beschäftigt, über seine letzten Worte nachzudenken, daß ich fast die nächste Frage verpaßt hätte.
    »Hast du schon mal einen Jungen geküßt, Katie?«
    »Ja«, sagte sie und wurde wieder rot. »Samuel. Und davor John Beiler.«
    »Ist Samuel dein Freund?«
    Sie nickte.
    War, dachte ich.
    »Habt ihr schon miteinander geschlafen?«
    »Nein!«
    »Hast du dich je von jemand anderem küssen oder berühren lassen?« hakte Coop sachte nach. Als sie nicht antwortete, wurde seine Stimme sogar noch weicher. »Wünschst du dir Kinder, Katie?«
    Sie hob das Gesicht, die Sonne erhellte ihre Wangen und Augen. »O ja«, wisperte sie. »Mehr als alles auf der Welt.«
    Sobald Katie außer Hörweite war, fragte ich Coop: »Was ist dein Eindruck?«
    Er streckte sich auf dem grasbewachsenen Ufer aus. »Daß ich einen Schnellkursus über amisches Leben brauche, bevor ich mir ein Urteil über sie bilden kann.«
    »Meldest du mich gleich mit an?« Ich seufzte. »Sie hat gesagt, sie wünscht sich Kinder.«
    »Das tun die meisten Frauen, die ihr Neugeborenes töten. Nur eben nicht zu diesem Zeitpunkt.« Er stockte. »Andererseits ist es durchaus möglich, daß dieses Baby für sie nie existiert hat.«
    »Dann glaubst du also nicht, daß sie lügt. Du denkst, daß sie die Geburt tatsächlich verdrängt hat.«
    Coop schwieg einen Moment. »Ich wünschte, ich könnte dir eine eindeutige Antwort geben. Es ist noch zu früh, um das beurteilen zu können. Wenn sie lügt, macht sie das verdammt gut, und ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das zu Hause gelernt hat.«
    »Kannst du denn irgendwas sicher sagen?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich denke, ich kann mit Sicherheit sagen, daß sie zur Zeit nicht psychotisch ist.«
    »Obwohl sie Geister sieht?«
    »Es besteht ein großer Unterschied zwischen einer Phantasievorstellung und einer psychotischen Wahnvorstellung. Wenn ihre Schwester ihr erschienen wäre und gesagt hätte, sie sollte das Baby töten, wäre das was anderes.«
    »Es interessiert mich nicht, ob sie zur Zeit psychotisch ist. Was war, als sie das Kind zur Welt gebracht hat?«
    Coop drückte mit Daumen und Zeigefinger gegen seinen Nasenrücken. »Offensichtlich blendet sie die Schwangerschaft und den Akt, der dazu geführt hat, völlig aus.«
    »Vergewaltigung?« fragte ich.
    »Auch das ist schwer zu sagen. Sie ist furchtbar scheu, was Sexualität angeht, aber ich weiß nicht, ob das an ihrem religiösen Umfeld oder an einer Gewalterfahrung liegt. Wenn Katie Sex mit einem nichtamischen Mann gehabt hat, könnte das für eine innere Blockade schon ausreichen. Sie hat große Angst, unter den Bann gestellt zu werden. Falls sie eine Beziehung zu einem Fremden gehabt hat, müßte sie wahrscheinlich ihr amisches Leben aufgeben.«
    »Sie könnte beichten und würde wieder aufgenommen.«
    »Aber die Tatsache, daß andere ihr vergeben, bedeutet leider noch lange nicht, daß sie selbst es vergessen könnte.« Coop sah mich an. »Wenn man ihre Erziehung bedenkt, ist es nicht verwunderlich, daß ihre Psyche alles tut, um das Geschehene auszublenden.«
    Ich legte mich neben ihn. »Sie beteuert, daß sie das Kind nicht getötet hat. Sie beteuert, daß sie das Kind nicht geboren hat. Aber es gibt Beweise, daß das Kind von ihr ist –«
    »Und wenn das eine gelogen ist«, führte Coop meinen Gedankengang zu Ende, »dann das andere vermutlich auch. Aber Lügen setzt bewußtes Wissen voraus. Falls sie dissoziiert, kann sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie die Wahrheit nicht kennt.«
    Ich stützte mich auf einen Ellbogen und lächelte traurig. »Aber sie kann dafür verantwortlich gemacht werden, einen Mord begangen zu haben?«
    »Das«, sagte Coop, »hängt von den Geschworenen ab.« Er stand auf und zog mich hoch. »Ich würde gerne

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