Die einzige Zeugin
mit dickem Teppichboden und gemütlichen Sesseln wie in einem Wohnzimmer. An den Wänden hingen Bilder, und es gab einen kleinen Tisch mit einem Wasserkocher, Tassen und einem Körbchen mit Teebeuteln, kleinen Tütchen Instantkaffee, Kakaopulver, Zucker und Kaffeesahne. Es gab eine Spielecke mit roten Sitzsäcken, einem Schaukelpferd, einer Eisenbahn, Bauklötzen und einer Tafel. Es gab auch einen niedrigen Tisch, auf dem ein gebogener Metalldraht in der Form eines fortlaufenden W befestigt war. Darauf waren bunte Perlen aufgefädelt, die man von der einen Seite zur anderen bewegen konnte. In ihren Fingern zuckte es vor Lust, damit zu spielen.
Eine Frau kam aus einem der Zimmer. Sie sagte, sie sei Polizistin, aber Lauren konnte es nicht glauben. Sie trug Jeans, ein hellrosa T-Shirt und lange Ohrringe mit silbernen Schmetterlingen daran. Sie schaukelten hin und her, wenn sie nickte oder den Kopf schüttelte. Wie konnte die Frau eine Polizistin sein, wenn sie so angezogen war?
Die Frau sagte, sie könnte gleich hineingehen und Jessica und Donny könnten bei ihr bleiben. Lauren würde nur auf dem Stuhl vor der Kamera sitzen müssen. Die Polizistin sagte, es sei wichtig, dass Donny und Jessica während der Aufnahme nicht mit Lauren sprachen oder irgendwie mit ihr kommunizierten, ihr etwas vorsagten oder den Kopf bewegten.
Als die Frau wieder weg war, warteten sie noch eine Weile. Lauren saß zwischen Donny und Jessica, beide hielten sie an der Hand. Sie schwiegen. Dann flüsterte Jessica ihr zu, Sag einfach die Wahrheit, das ist alles, was du tun kannst. Natürlich würde sie die Wahrheit sagen. Das war alles, was sie wusste. Nach einer Weile schaute sie sehnsüchtig zu dem Tisch mit dem Draht und den Perlen hinüber. Ob es in Ordnung wäre, wenn sie damit spielte? Ob sie überhaupt spielen durfte in diesem ernsten Moment? Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es nicht in Ordnung sein würde, also blieb sie still sitzen, bis sich weiter hinten auf dem Flur eine Tür öffnete und die Frau von vorher ihnen winkte. Als sie näher kamen, sah sie, dass die Frau sie anlächelte und die Schmetterlinge neben ihrem Kinn schaukelten.
In dem Raum stand ein großer bequemer Stuhl. Über der Lehne hing eine rosafarbene Kuschelschlange, ihr Kopf lag auf dem Boden. Sie setzte sich und zog die Schlange hoch, bis sie ihr ins Gesicht schauen konnte. Die gespaltene Zunge hing ihr aus dem Mund, ein schwarzes Stück Filz.
Grelle Lichter gingen an.
Die brauchen wir wegen der Kamera , erklärte die Frau mit den Ohrringen.
Auf der einen Seite saß Jessica mit einem unsicheren Lächeln im Gesicht. Auf der anderen Seite saß Donny und zog an seinem Kragen, als wäre sein Hemd ihm zu eng.
Wir können jetzt anfangen, sagte die Frau, du musst einfach die Kamera anschauen und die Fragen so ehrlich beantworten, wie du kannst. Bist du bereit, Lauren? Verstehst du, was wir hier machen? Wenn du nicht mehr weitermachen möchtest, musst du es nur sagen – sag einfach, ›Ich möchte nicht mehr‹ – dann machen wir eine Pause.
Ich bin bereit , sagte Lauren und wickelte sich die Schlange um den Arm. Ich bin bereit .
Bist du bereit?
Ich bin bereit.
Ein Klopfen an der Tür holte sie aus ihren Gedanken. Sie erwartete, dass die Tür sich öffnete, aber sie blieb geschlossen. Sonst kam Jessica nach dem Klopfen immer direkt herein, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Komm rein, Jess«, rief Lauren.
Die Tür ging auf. Jessica hatte ein schuldbewusstes Gesicht, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Sie sah den Brief auf der Bettdecke.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Sie hatte etwas in der Hand. Eine rosa Mappe mit Druckknopfverschluss. Lauren nickte und hob die Schultern. Was gab es da zu sagen? Ihr Vater hatte ihr geschrieben.
»Ähm, also …«, sagte Jessica, »das ist nicht der erste Brief. Slater hat dir geschrieben, seit er im Gefängnis ist. Ich habe dir seine Briefe nie gezeigt.«
Lauren betrachtete die rosa Mappe. Sie war prall gefüllt mit Umschlägen.
»Donny und ich fanden, dass du mit sieben noch zu klein warst, um seine Briefe zu lesen. In den ersten beiden Jahren hat er viel geschrieben, dann wurde es weniger. Wahrscheinlich hat er sich zurückgezogen, weil er nie eine Antwort bekommen hat. Einige der Briefe habe ich sogar zurückgeschickt, da fing er an, sie an Donnys Schule zu adressieren. Aber er scheint verstanden zu haben. Nach drei oder vier Jahren waren es nur noch zwei Briefe im Jahr, und dann nur noch einer. Zu
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