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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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Agnes waren. Ein- oder zweimal hatte sie die Briefe von Laurens Vater erwähnt. Aber darüber wollte Lauren nicht mit ihr sprechen. Sie sagte ihr, sie hätte die Briefe nicht gelesen und sie hätte auch nicht vor, es zu tun. Wenigstens das schien ihre Tante zu beruhigen. Es war das Einzige, das ihr ein kleines zufriedenes Lächeln entlockte.
    Mit Julie zusammenzusein fühlte sich dagegen an wie Urlaub. Wie ein Sommertag am Meer, mit Eis und Donuts, einer leichten Brise und dem heißen Sand zwischen den Zehen.
    »Und Ryan ist echt schlau! In Politik ist er immer der Beste. Er hat richtig gute Argumente«, schwärmte Julie sehnsüchtig.
    Lauren nahm eine Gabel voll Kartoffel. Sie ertappte sich dabei, dass sie schon wieder Julies Kleider musterte. Heute trug sie ein kurzes pinkfarbenes Kleid über weißen Leggins. Ihr asymmetrisch geschnittenes Haar reichte ihr auf der einen Seite bis zum Kinn, auf der anderen bis kurz übers Ohr. Um den Kopf trug sie ein breites pinkfarbenes Band, das auf einer Seite herabhing. Lauren war nicht sicher, was für ein Style das sein sollte. Sechziger? Vierziger? Vielleicht ein Mix aus beidem. Es sah jedenfalls nicht schlecht aus, absolut nicht. An manchen Tagen sah Julie perfekt aus. An anderen Tagen eher aufsehenerregend.
    »Meinst du, er ist gut im Bett?«, fragte Julie und grinste.
    Lauren nahm einen letzten Bissen Kartoffel und schob den Teller von sich weg. Sie dachte an Ryan Lassiter, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er wartete vor der Schulbücherei und trug ein Fußballtrikot, eine Designerjeans und teure Turnschuhe. Ryan war wie so viele Jungs in der Schule. Sie trugen alle dieselben Marken, ihre Klamotten waren frisch gewaschen und gebügelt, ihre Turnschuhe kamen direkt aus dem Schuhkarton. Er war ein hübscher Klon. Woher sollte sie wissen, wie er im Bett war?
    Sie rückte ein Stück nach hinten, als ein Junge in einer weißen Schürze an ihren Tisch kam, das Geschirr abräumte und den Tisch mit einem Lappen abwischte.
    »Wie meinst du das, ›im Bett‹?«, fragte sie und tat unschuldig. »Beim Schlafen?«
    »Du weißt schon«, lachte Julie, »wild und leidenschaftlich.«
    Lauren versuchte sich vorzustellen, wie Ryan sich die Klamotten vom Leib riss. Es funktionierte einfach nicht. Er würde vermutlich eine Weile brauchen, um seine Sachen ordentlich zusammenzulegen. Währenddessen hätte Julie längst ihr Abendkleid und ihre High Heels abgeworfen und sich unter die Decke gelegt, so dass nur noch ihr zerzaustes Haar und ihre kirschroten Lippen zu sehen wären.
    »Auf einer Skala von eins bis zehn?«
    »Keine Ahnung!«
    Lauren hatte keine Ahnung. Sie hatte in St. Agnes einen Freund gehabt, aber es war alles ziemlich unschuldig gewesen. Sie hatten geknutscht und geschmust, aber als er mehr wollte, hatte sie keine Lust mehr gehabt. Jedenfalls war sie kein Mädchen, dem die Jungs hinterherliefen. Sie trug keine coolen Klamotten und schminkte sich nicht. Und sie stand nicht auf die Jungs in der Schule mit ihrem Mackergehabe. Sie verbrachte ihre Zeit lieber mit Jessica und Donny. Früher hatte sie gerne mit ihren Freunden am Strand und in den Dünen gespielt. Sie hatten gebadet, Hütten gebaut, gegrillt, ›Abenteuer‹ gespielt und aus Treibholz Flöße gebaut. Aber als sie älter wurde, bekamen diese Orte eine neue Bedeutung. Sie wurden Orte, an denen man Alkohol trank, Joints rauchte und Sex hatte. Seitdem vermied sie es, dort hinzugehen. Sie überließ diese Orte den anderen. Sie hatte noch nie Sex gehabt. Sie kannte sich nicht aus mit wilder Leidenschaft. Die Jungs machten sich nichts aus ihr.
    Sie blickte in das verträumte Gesicht ihrer Freundin. Julie war mit vier Jungen zusammengewesen. Das erste Mal mit 14, das letzte Mal war gerade erst ein paar Wochen her. Sie hatte Lauren jede Einzelheit berichtet.
    »Meinst du, er steht auf mich?«, fragte Julie, zog ein paillettenbesetztes Mäppchen aus der Tasche und holte eine Packung Pfefferminzbonbons heraus.
    »Schwer zu sagen.«
    Lauren schüttelte den Kopf, als Julie ihr die Bonbons hinhielt. Das glitzernde Mäppchen verschwand wieder in der Tasche. Darin war auch ein schmaler Streifen mit Pillen, von denen Julie jeden Tag eine nahm. Ich bin doch nicht blöd und werde schwanger! Das stimmte. Julie mit ihren auffälligen Klamotten und stürmischen Schwärmereien war alles andere als blöd. Deshalb mochte Lauren sie.
    »Letzte Woche waren wir zufällig im gleichen Film. Er saß direkt neben mir. Es waren noch andere Plätze

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