Die einzige Zeugin
dann begannen sie spielerisch miteinander zu kämpfen. Wenn andere Hunde in ihre Nähe kamen, standen sie still und witterten, ob Gefahr drohte. Wenn sie sich versichert hatten, dass alles in Ordnung war, tollten sie mit ihnen herum, als hätten sie lang vermisste Freunde wiedergefunden.
Nathan erzählte, dass seine Eltern im Urlaub waren.
»Sie sind für zwei Wochen in Frankreich. Sie fahren durch die Gegend und schlafen mal hier, mal da. Ich bin der offizielle Hundeausführer/Gärtner/Anrufbeantworter, solange sie weg sind.«
»Ich bin auch gerade allein zu Hause«, sagte sie.
»Wie kommt’s?«, fragte er.
Sie erzählte ihm von Jessica und Donny und ihrer Trennung. Sie verkürzte die ganze Geschichte auf wenige Sätze, in denen sie die Trauer und Aufregung ausklammerte.
»Jessica ist … die Schwester deiner Mutter?«
Lauren nickte. Bei der Erwähnung ihrer Mutter verspannte sie sich automatisch. Fing er jetzt doch wieder damit an? Wenn er begann, sie auszufragen, wusste sie nicht, ob sie überhaupt antworten könnte.
»Also wenn Jessica wieder in Cornwall ist, heißt das, dass du auch bald zurückgehst?«
Sie nickte, erleichtert, dass er sie nicht ausquetschen wollte.
Nathan warf einen Ball, und die Hunde rannten hinterher.
Wenn sie zurück nach Cornwall ging, würde sie Nathan vermutlich nicht mehr wiedersehen, genauso wenig wie Julie oder die anderen aus ihrer Klasse, die sie in den letzten Monaten kennengelernt hatte. Nathan ging schweigend ein paar Meter weiter. Sie fühlte, wie ihre gute Laune schwand. Sie freute sich auf Cornwall, aber eigentlich war die Zeit in London auch nicht so übel gewesen. Nathan blieb stehen und hob den Ball wieder auf, den Prince ihm vor die Füße gelegt hatte. Er warf ihn hoch in die Luft, so dass er weit über den Rasen flog. Prince und Duke stürzten hinterher. Er drehte sich um und lächelte sie an. Die Sonne schien ihm in die Augen, und er hob eine Hand, um sie abzuschirmen. Es sah so natürlich aus, so leicht.
»Ich fahre erst in zwei Wochen«, sagte sie und versuchte, optimistisch zu klingen. »Nach meiner letzten Prüfung.«
»Mir ist das piepegal«, sagt er. »Geh du nur zurück nach Cornwall.«
Sie antwortete nicht. Sein offenkundiges Desinteresse verblüffte sie.
»Ab September studiere ich in Exeter. Das sind nur zwei Stunden bis nach St. Agnes. Wenn du Glück hast, komme ich dich mal besuchen.«
»Du machst Witze«, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf und legte ihr schwungvoll einen Arm um die Schulter.
»So leicht wirst du mich nicht los.«
Als sie wieder zu Hause waren, schaute Lauren den Hunden beim Fressen zu. Sie standen in der glänzenden Küche. Neben der Spüle standen die Pinsel, die sie vorhin ausgewaschen hatten. Im Spülbecken waren noch kleine Farbstückchen. Lauren nahm einen Lappen und wischte sie weg.
Die Hunde hatten ihre Schnauzen im Futternapf, und man hörte sie schlürfen und schmatzen.
»Das ist gar nichts«, sagte Nathan. »Du solltest mich mal beim Essen hören.«
»Ich muss jetzt gehen«, sagte sie. »Ich muss noch lernen.«
»Bleib doch hier«, sagte er.
»Das geht nicht. Du weißt, dass das nicht geht.«
Er sah einen Augenblick lang unsicher aus, und sie fragte sich, ob er jetzt das Thema ansprechen würde. Sie hatte den ganzen Nachmittag damit gerechnet, dass er sie ausfragte. Wie war das für dich? Wie fühlt es sich an, wenn jemand dich umbringen will?
»Du würdest dich unwohl fühlen. Ich verstehe das. Aber weißt du was, du könntest im Wohnzimmer auf der Couch schlafen. Ich lasse dich in Ruhe. Ich bin oben in meinem Zimmer, und ich schlafwandle nicht …«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe meine ganzen Lernsachen zu Hause. Und die Klausur ist morgen früh um neun.«
»Du bist allein. Ich bin allein. Es wäre wirklich schön, wenn du hier wärst. Du müsstest gar nicht nach oben gehen. Alles, was du brauchst, ist hier unten. Dusche, Toilette, Küche. Es gibt keinen Grund, nach oben zu gehen.«
»Ich kann nicht«, sagte sie.
»Meine Eltern kommen erst übernächste Woche wieder. Das sind zehn freie Tage.«
»Warum kommst du nicht mit zu mir?«, fragte sie. »Wir haben ein Gästezimmer.«
»Ich kann die Hunde nicht alleine lassen.«
»Mmh …«
»Okay«, sagte er. »Dann bringe ich dich wenigstens nach Hause.«
»Ist schon in Ordnung, ich habe Lust zu laufen. Wirklich. Ich rufe dich an«, sagte sie und blieb an der Tür stehen.
»Oh nein«, sagte er. »Dieser Satz schon wieder!«
»Ich rufe
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