Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
Vom Netzwerk:
einen tiefen Zug, bevor er den Rauch aus dem Fenster blies.
    Es ist etwas Schreckliches passiert, hatte ihr Großvater gesagt. Sie hatte ihn kaum gekannt. Sie hatte ihn einige Male getroffen, als er nach England gekommen war und ihre Mutter besucht hatte. Ein großer dünner Mann mit kurzem weißen Haar und gebräunter Haut wie Leder. Auf der Beerdigung von Daisy und ihrer Mutter hatte er sie so fest umarmt, dass sie kaum noch Luft bekam. Ein Jahr später war er an einem Herzinfarkt gestorben. Jessica hatte es ihr erzählt. Er hatte an seinem Pool gelegen und war einfach gestorben. Seine Frau hatte ihn gefunden, aber es war zu spät für den Notarzt. Lauren hatte versucht zu weinen, aber sie konnte nicht.
    Es klingelte und Donny holte sein Handy aus der Tasche.
    »Oh, guten Tag«, sagte er. Er hielt das Handy kurz beiseite und flüsterte: »Die Anwältin!«
    Er redete kurz mit ihr und beendete dann das Gespräch.
    »Was ist?«, fragte Lauren.
    »Die Anwältin war mit Fotos von William Doyle bei eurer früheren Nachbarin. Sie hat ihn wiedererkannt. Sie hat gesagt, es sei der Mann, der auf der Party ihrer Töchter gewesen sei, im Mai vor zehn Jahren.«
    Lauren saß ganz still.
    »Das ist doch verrückt«, sagte Donny. Er drückte die Zigarette an seiner Sohle aus und warf sie aus dem Fenster.
    »Es soll also jemand anders gewesen sein? Ich verstehe das nicht.«
    »Nein«, sagte Lauren. »Nein. Ich weiß, was ich gesehen habe.«
    Sie schloss die Augen. Sie versuchte, sich die Szene ins Gedächtnis zu rufen, aber das Bild kam nicht. Sie versuchte, sich ihren Vater vorzustellen, der mit dem Rücken zu dem großen Doppelbett stand und auf ihre Mutter herabsah, die in der Lücke zwischen den Möbeln auf den Boden gesunken war. Es war eindeutig ihr Vater, denn er hatte sich kurz zur Seite gedreht und sie hatte sein Profil gesehen und dass er ein Messer in der Hand hielt. Die Szene verschwamm und entglitt ihr. Dann sah sie den Rücken des Clowns, seine rote Hose mit den gelben Punkten und den lilafarbenen Frack. War er da gewesen? Im Schlafzimmer?
    War es möglich, dass die Dinge nicht so gewesen waren, wie sie lange Zeit fest geglaubt hatte?
    »Nicht weinen, Lolly«, sagte Donny.
    Sie sah ihn überrascht an. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte.

20
    Sie war den ganzen Abend unruhig. Sie musste immer wieder an William Doyle denken, den Clown, der auf der Party der Zwillinge gewesen war. Sie hatte ihn danach wiedergesehen, aber sie hatte der Anwältin nichts davon gesagt. Einmal im Kaufhaus, als sie das Kuscheltier bekommen hatte, und einmal, als er an ihre Tür geklopft hatte, um mit ihrer Mutter zu sprechen. Er hatte ihr eine Murmel geschenkt, die wie ein Edelstein aussah. Ihre Mutter hatte mit ihm geredet, angeblich plante sie eine Party. Das dritte Mal war es anders gewesen. Er hatte geklingelt und dann an ihr Fenster geklopft. Man konnte sein Gesicht durch die Scheibe sehen und ihre Mutter war in Panik geraten. Sie hatte die Fensterläden geschlossen und ihn ausgesperrt, und mit ihm das Tageslicht und die ganze Welt.
    Lauren hatte ihn nie wiedergesehen. Oder doch?
    Sie ging im Wohnzimmer auf und ab, die Hunde liefen hinter ihr her. Sie setzte sich an den Küchentisch und trommelte mit den Fingern auf die Platte. Sie starrte aus dem Fenster in den Garten.
    »Alles klar bei dir?«, fragte Nathan.
    »Ich denke nur an meinen Onkel«, murmelte sie.
    Sie hatte ihm von ihrem Treffen mit Donny und von der Fehlgeburt erzählt. Den Rest hatte sie für sich behalten.
    Sie versuchte, eine weitere Erinnerung an William Doyle heraufzubeschwören. Sie hatte sich alle Einzelheiten immer wieder ins Gedächtnis gerufen, damit vielleicht noch eine andere Erinnerung mitkam, ein anderes Zusammentreffen mit diesem Mann. Als wäre ihr Gedächtnis eine Landkarte, auf der es immer noch neue Orte zu entdecken gab. War es möglich, dass ihre Mutter sich mit ihm verabredet hatte? Dass sie eine Affäre mit ihm angefangen hatte? Vielleicht im Juni, als Donny und Jessie in Spanien waren? Ihre Mutter war vor dem Mord drei Wochen lang allein gewesen. In drei Wochen konnte viel passieren.
    Gegen acht Uhr kam Nathan in die Küche. Er nahm sie bei der Hand, zog sie ins Wohnzimmer und setzte sie aufs Sofa.
    »Was ist los?«, fragte er.
    »Ach, alles Mögliche …«, sagte sie ausweichend.
    »Ist es das Haus? Ist es, weil du hier bist?«
    »Auch. Aber nicht wirklich. Ich kann es nicht erklären. Es ist kompliziert.«
    »Liegt es an mir?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher