Die einzige Zeugin
Und das ist alles. Außerdem habe ich ihr gesagt, dass sie mich nicht mehr kontaktieren soll.«
»Also meinst du, dass das eine wichtige Information sein könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Diese Anwältin will sich mit mir treffen. Falls ich mich an etwas erinnere. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Weiß Jessie, dass du bei ihr warst?«
»Nein. Ich dachte, es sei besser, ihr nichts davon zu sagen. Du weißt doch, wie sie ist.«
Er grinste, und eine Sekunde lang war es wie in alten Zeiten. Donny und sie waren sich einig über Jessica.
»Wirst du dich mit ihr treffen?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen.
»Ich weiß es nicht. Deswegen wollte ich mit Jessica reden. Also, unter anderem.«
»Worüber noch?«, fragte sie brüsk. »Du hast gesagt, wir müssten zwei Dinge besprechen. Was noch?«
»Alison hatte eine Fehlgeburt.«
»Oh …«
»Es ist vielleicht besser so.«
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß nicht, ob es wirklich funktioniert, mit Alison und mir. Es war alles so überstürzt. Wir haben uns beide da reingeworfen. Aber es dauert eine Weile, bis man jemanden richtig kennt.«
Lauren starrte ihn an. Ohne Krawatte und mit dem gestutzten Haar sah er rauer aus. Und er hatte einen gereizten Zug um den Mund. Wie ein kleiner Junge, der seinen Willen nicht bekam. Plötzlich wusste sie, warum er mit ihr reden wollte. Es hatte nichts mit der Anwältin zu tun. Er wollte hören, was mit Jessica los war. Er wollte herausfinden, ob sie ihm noch eine Chance geben würde. Sie hätte froh darüber sein sollen, aber sie fühlte sich nur erschöpft. Sie schob ihre Tasse von sich und stand auf.
»Geh noch nicht«, sagte er und suchte in seinen Taschen nach Kleingeld. »Willst du noch etwas essen? Ein Sandwich?«
Sie schüttelte den Kopf, schlängelte sich zwischen Tischen und Stühlen hindurch und verließ das Café. Er war zwei Schritte hinter ihr.
»Bitte Lolly, ich muss mit dir reden.«
Er musste reden. Warum ging es immer um ihn? Oder um Jessica?
»Du kannst mich bei meinem Freund absetzen. Aber ich will nicht über dich und Jessica sprechen.«
Er runzelte die Stirn.
»Ich will, dass du mir etwas über meine Eltern erzählst. Davon, wie es vor diesem Tag war. Ich muss mehr über sie wissen. Jess redet nie darüber.«
»In Ordnung«, sagte er und sah skeptisch aus. »Steig ein.«
»Und ich will die Wahrheit wissen«, sagte sie. »Ich will wissen, wie es wirklich war.«
Sie hielten ein paar Straßen von der Hazelwood Road entfernt. Donny hatte den Motor ausgeschaltet und das Fenster geöffnet, um etwas Luft reinzulassen. Laurens Hände waren verkrampft, ihre Knie eng aneinandergepresst. Das Auto fühlte sich anders an, roch anders. In der Ablage über der Schaltung entdeckte sie ein Feuerzeug. Donny hatte wieder mit dem Rauchen angefangen.
»Es war komisch«, begann Donny, »als Jessica mich das erste Mal mit zu Grace genommen hat.«
Er trommelte mit den Fingern gegen das Lenkrad. Vielleicht sehnte er sich nach einer Zigarette.
»Wir waren etwa ein halbes Jahr zusammen, und sie sagte, Du musst unbedingt meine Schwester kennenlernen. Sie ist das genaue Gegenteil von mir!«
Lauren sah die beiden Frauen vor sich. Ihre Mutter wirkte groß, Jessica klein. Aber das kam, weil das Bild, das sie von ihrer Mutter hatte, aus der Perspektive eines kleinen Mädchens war. Jetzt war sie einige Zentimeter größer als Jessica. Wäre sie auch größer als ihre Mutter? Würde sie ihr schützend den Arm um die Schulter legen? Ihr über den Kopf streichen, wie sie es oft bei Jessica getan hatte?
»Grace war zehn Jahre älter als Jessica, aber sie sah ihr sehr ähnlich. Es war ihr Charakter, der ganz anders war. Sie war sehr ernst, sie lächelte fast nie. Sie war auch dünner als Jessica. Eigentlich war sie zu dünn, als ob sie nie richtig essen würde. Jessie hatte mir gesagt, dass sie unter einer postnatalen Depression litt.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Lauren.
»Es war nach Daisys Geburt. Sie war in Behandlung gewesen und schien auf dem Wege der Besserung zu sein.«
Lauren wusste, dass es ihrer Mutter nicht gutgegangen war. Sie erinnerte sich an die vielen Male, an denen sie niedergeschlagen war, aber sie hatte nie als etwas daran gedacht, das einen eigenen Namen haben könnte. Eine postnatale Depression war etwas Ernstes, etwas, das man therapieren musste. Vielleicht hatte sie sich deshalb immer so viele Sorgen gemacht.
»Ich habe sie an Weihnachten kennengelernt,
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