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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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er sich um, erblickte aber nur ein paar Hühner, die scharrend und gackernd über ein kleines Stück Wiese liefen. Auf der Koppel dahinter sah er ein Pferd, das ihn kauend beäugte. Der Atem aus den mächtigen Nüstern des Tieres kondensierte dampfend in der kalten Novemberluft. Für einen Moment dachte er daran, dass es ihm gefallen würde, hier zu leben. Hier hätte er seine Ruhe, bräuchte keine Treppen zu steigen und könnte sich Hunde halten. Dann besann er sich auf sein Anliegen, ging zur Tür und klopfte an.
    Eine lange Zeit passierte nichts. Schließlich nahm er eine Bewegung hinter einer der Gardinen wahr.
    „Wer ist da?“, drang eine Stimme durch das dünne Glas des Küchenfensters.
    „Klein. Kripo Essen. Ich komme wegen des Hinweises von Herrn Thaler.“
    Wieder musste er lange warten und glaubte bereits, sich in der Adresse geirrt zu haben, als die Haustür geöffnet wurde und ein alter, gebeugter Mann erschien.
    „Entschuldigen Sie das Misstrauen“, sagte der Bauer in breitem Westfälisch, „aber seit diesem Mord …“ Er verstummte und streckte Klein die Hand hin. „Heinrich Thaler.“
    Klein erwiderte die Geste und biss sich im selben Moment auf die Zunge. Der Griff dieses Mannes glich dem einer Schraubzwinge, und Klein bekam eine ungefähre Ahnung davon, wie hart diese Hände ein Leben lang hatten zupacken müssen.
    „Wenn Sie sich angekündigt hätten“, sagte der Mann, „dann könnte ich Ihnen jetzt etwas anbieten.“
    „Nicht nötig“, sagte Klein und folgte Heinrich Thaler in die Küche. Er stellte fest, dass das Innere des Hauses mit den Nebengebäuden nichts gemeinsam hatte. Zwar fehlte es an jeglichem Luxus, aber die Kargheit der alten Räume wirkte sauber und wohltuend überschaubar.
    Thaler wies ihm den Platz auf einer kleinen Holzbank neben dem Ofen zu und nahm sich selbst einen abgewetzten Hocker auf der anderen Seite des Tisches.
    „Auch keinen Tee oder Kaffee?“, fragte er, doch Klein lehnte dankend ab.
    „Lassen Sie uns über das sprechen, was Sie gesehen haben.“
    Der alte Mann nickte und schien einen Moment lang zu überlegen. Dann begann er zu reden.
    „Es war die Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Ich hatte Kreuzschmerzen, fürchterliche Kreuzschmerzen. Ich stand auf und ging in die Küche. Es muss etwa kurz nach zwei gewesen sein. Das Licht der Scheinwerfer habe ich gesehen, bevor ich ihn kommen hörte.“
    Klein wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte, aber Thaler machte wahrlich keinen verwirrten Eindruck. Im Gegenteil, der alte Mann wirkte intelligent und lebensnah.
    „Sie meinen diesen Wagen?“, fragte der Ermittler zögerlich.
    „Ja. Zuerst sah ich ihn die Straße runterfahren. Ziemlich langsam. Dann bog er nach rechts in den Feldweg ein und verschwand hinter den Bäumen.“
    „Wie heißt dieser Weg?“
    „Pörtgensiepen.“
    Klein wurde schlagartig hellhörig.
    „Das ist der Weg, der zum Ufer führt, richtig? Dort, wo der kleine Parkplatz ist.“
    „Ja“, bestätigte der Bauer. „Die Leute machen dort Ausflüge und schmeißen ihren ganzen Müll auf die Felder. Furchtbar ist das.“
    „Was passierte dann?“
    „Weil ich nicht schlafen konnte, habe ich mir Tee gemacht und mich auf die Bank gesetzt.“ Er deutete auf Klein. „Genau da, wo Sie jetzt sitzen. Ich muss zwischendurch mal gedöst haben, aber die meiste Zeit war ich wach.“
    „Und dann?“ Klein wurde langsam etwas ungeduldig.
    „Erst passierte nichts, doch dann kam der Wagen zurück. Aus der anderen Richtung und ziemlich schnell.“ Heinrich Thaler drehte sich um und zeigte zu den fernen Bäumen.
    „Um wie viel Uhr war das?“
    „Etwa drei.“
    Klein stieß die Luft aus. Das passte exakt in den Zeitrahmen. Er wagte kaum zu hoffen, der alte Mann könne das Kennzeichen abgelesen haben.
    „Und dieses Mal haben Sie genauer hingeschaut?“, fragte er vorsichtig, doch Thaler machte den zarten Hoffnungsschimmer zunichte.
    „Das Nummernschild konnte ich nicht erkennen, aber ich habe mir die Scheinwerfer gemerkt.“
    „Sie haben was?“ Klein konnte nicht verbergen, wie diese neuerliche Enttäuschung ihn frustrierte.
    „Wissen Sie, ich verstehe nichts von Fußball“, fuhr Thaler fort. „Wir haben kein Internet, und der Fernseher ist 30 Jahre alt. Dafür kaufe ich mir diese Zeitschriften, auch wenn meine Frau immer sagt, es sei Geldverschwendung.“
    „Welche Zeitschriften?“
    „Autos“, sagte Thaler. „Ich habe mich schon immer für Autos interessiert. Wir konnten uns

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