Die Eisbärin (German Edition)
eben, nur dass es hier noch jede Menge mehr zu sehen gab. Sie musste nicht einmal die Zoomfunktion benutzen, um die Zahl in der Mitte zu erkennen.
„Das gibt’s doch nicht!“
„Was meinst du?“, tönte es grimmig von der Seite. „Ihr solltet doch warten.“
Klein kam eilig hinzu, so dass sie jetzt zu dritt um den Monitor versammelt waren. „Was ist das?“, wollte er wissen.
„Diese Eindruckspur stammt aus dem Waldboden hinter dem Zaun“, klärte Bergmann ihn auf.
„Und sie ist so freundlich, uns die Größe des Spurenlegerschuhs zu verraten“, ergänzte Sperber. „Die fünf ist die internationale Bezeichnung für die deutsche Größe 38. Herrschaften, das bedeutet, wir jagen einen Zehnjährigen, einen Zwerg oder eine Frau.“
Es dauerte eine ganze Weile, bis alle drei die Bedeutung dieser Information diskutiert hatten. Schließlich verabredeten sie sich zu einer Besprechung am nächsten Morgen, und Sperber verließ das Zimmer.
„Ziemlich unheimlich das Ganze, oder?“, fragte Bergmann, nachdem sie wieder allein waren.
Klein musterte sie erstaunt. „Was meinst du? Den Psychopathen da draußen?“
„Ich weiß es nicht. Ich meine, wieder ein Messermord, und wieder finden sich Hinweise darauf, dass es vielleicht kein Mann war.“
„Fakten gibt es nur im aktuellen Fall!“, platzte Klein hervor. „Bei Lüscher ist es nichts weiter als ein Gefühl.“
Er wusste, dass die Bestimmtheit seines Tonfalls nur die eigene Unsicherheit überspielen sollte. Doch Bergmann kannte ihn zu gut, um sich täuschen zu lassen.
„Ich glaube, ich liege goldrichtig. Du denkst es doch auch. Warum redest du nicht darüber?“
Klein stand auf und ging zum Fenster. Er vergrub beide Hände in den Hosentaschen und beobachtete eine Weile das Verkehrschaos unten auf der Straße.
„Also gut“, sagte er schließlich und drehte sich um. „Du glaubst also nicht an einen Zufall. Dann beweise mir das Gegenteil. Such nach Verbindungen zwischen Lüscher und Kohlmeyer, bring alles ans Licht, was auch nur im Geringsten eine Gemeinsamkeit aufweisen könnte. Du hast freie Hand. Überzeuge mich.“
Bergmann zuckte mit den Achseln.
„Das wird nicht ganz einfach sein. Kohlmeyer saß beinahe drei Jahrzehnte im Knast.“
„Nicht ganz einfach, oder umso leichter. Du musst vielleicht nicht so sehr in die Breite gehen, aber dafür stärker in die Tiefe. Bohre in seiner Vergangenheit.“
„Einverstanden“, sagte Bergmann. „Schaden kann es jedenfalls nicht.“
„Tu mir nur einen Gefallen, häng es nicht an die große Glocke. Noch nicht. Betrachte es einfach als …“
„Geheimen Spezialauftrag?“, ergänzte Bergmann und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
„Wie auch immer.“
Klein grinste und ging zurück an seinen Schreibtisch.
„Hey, ich hol mir erst mal was zu essen“, wechselte Bergmann das Thema. „Möchtest du auch?“
Klein saß bereits wieder vor dem Rechner.
„Nein, ich muss jetzt diesen verdammten Bericht zu Ende bringen“, sagte er und rief sich den tobenden Boger ins Gedächtnis. „Ansonsten hast du morgen die nächste Leichensache auf deinem Schreibtisch.“
Freitag, 26. November, 10.30 Uhr
Klein las den Ausdruck noch einmal durch, dann legte er das Papier müde zur Seite. Laschinskys Bericht über die aktuellen Ergebnisse war ebenso kurz wie enttäuschend. Der gestrige Tag hatte nichts Neues ergeben. Die Befragung der wenigen Anwohner in der Nähe des mutmaßlichen Fluchtwegs des Täters war erfolglos geblieben, genau wie die Suche nach der Tatwaffe. Einzig die Ermittlungen im Zusammenhang mit den Schuhabdrücken hatten Ergebnisse hervorgebracht. Sie konnten bereits mit Sicherheit sagen, dass neuwertige Schuhe benutzt wurden. Der Gipsausguss von der Eindruckspur im Waldboden war so gut, dass man Abnutzungen oder charakteristische Beschädigungen der Schuhsohle ausschließen konnte. Das Profil passte zu einem Sportschuh der Marke RunStar. Ein Massenprodukt, das vor allem durch Discounter und über das Internet abgesetzt wurde.
Das Medieninteresse war ungebrochen groß, und das Präsidium glich in diesen Tagen einer belagerten Burg aus dem Mittelalter. Die Kollegen der Pressestelle waren nicht zu beneiden. Sie konnten nichts anderes tun, als fortwährend darauf zu verweisen, dass sie zu laufenden Ermittlungen nichts Näheres sagen durften.
Laschinsky war wie erwartet Leiter der Soko „Wald“ geworden, wie die bunt zusammengewürfelte Ermittlungsgruppe im Fall Kohlmeyer hieß. Klein bestand
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