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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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Hochhäuser. Sabine zählte sechs Stockwerke. Nun hatte sie also seine Adresse: Von-Ossietzky-Ring 335.
    Ein entschlossenes Lächeln spielte um ihren Mund, als sie durch den Regen nach Hause fuhr.

Samstag, 16. Oktober, 14.30 Uhr
    Markus drückte auf den Knopf der DeLonghi und sah zu, wie sich der Becher mit dampfendem Kaffee füllte. Er war allein in der Praxis. In den letzten beiden Wochen hatten sich dringende schriftliche Arbeiten angehäuft, und er sah keine andere Möglichkeit, dem Chaos zu entkommen, als an diesem Samstag eine Extraschicht einzulegen. Seine Gedanken jedoch wanderten immer wieder zu seiner Frau.
    Seit dem Vorfall mit Laura war alles anders geworden. Sabines Alpträume quälten ihn genauso sehr wie sie, aber er versuchte, ihr gegenüber, so gut es ging, Ruhe auszustrahlen. Erst letzte Nacht war sie wieder schreiend und schweißgebadet aufgewacht.
    Er nahm an, dass seine Frau in diesen schwierigen Tagen mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchte, und versuchte, sie ihr zu geben. Aber warum spürte er diese Distanz und dieses Abwehrverhalten bei ihr? Warum zuckte sie zusammen, wenn er sie berührte? Warum hielt sie nachts plötzlich körperlichen Abstand, was mehr als untypisch für sie war?
    Er zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und wählte die Nummer von zu Hause, erreichte aber nur seine eigene Stimme auf der Ansage des Anrufbeantworters.
    Wahrscheinlich tue ich ihr unrecht, dachte er. Ich darf sie jetzt nicht unter Druck setzen. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass Sabine in einer für ihn noch nicht greifbaren Weise überreagierte. Natürlich war der Vorfall auf dem Spielplatz furchtbar gewesen. Aber als er noch am selben Abend mit seiner Tochter zur Polizei aufgebrochen war, hatte sich Sabine geweigert, mitzukommen. Ich kann es nicht ertragen, die Geschichte noch einmal mit anzuhören, waren ihre Worte gewesen.
    Es war auch für ihn wahrlich nicht leicht gewesen, aber die junge Kriminalbeamtin hatte Laura sehr behutsam befragt und ihnen das Gefühl vermittelt, die Sache äußerst ernst zu nehmen. Markus hatte erfahren, dass derselbe Mann, der Laura und Nicole belästigt hatte, bereits auf verschiedenen Spielplätzen in Essen, Mülheim und Oberhausen gesehen worden war. Zu direkten körperlichen Übergriffen war es bislang glücklicherweise noch nicht gekommen.
    Am darauffolgenden Montag hatte ein ausführlicher Artikel im Regionalteil der WAZ dennoch dazu aufgerufen, Kinder vorerst nicht unbeaufsichtigt zu lassen.
    Grübelnd saß Markus noch eine Weile in der Küche seiner Praxis. Dann erhob er sich und kippte den kalten Kaffee in den Ausguss.

Samstag, 16. Oktober, 17.15 Uhr
    Sabine stand im Hausflur vor dem Garderobenspiegel und knöpfte den langen Mantel zu. Anschließend kramte sie eine ihrer Wollmützen aus der Schublade hervor und setzte sie auf. Die restlichen unbedeckten Locken, die ihr weit über die Schultern fielen, schob sie sorgfältig hinter den hochgestellten Kragen, bis sie von außen nicht mehr zu sehen waren. Eine Weile betrachtete sie ihr Gesicht und erkannte darin feste Entschlossenheit. Laura war mit Nicole im Schwimmbad und wollte anschließend bei ihrer Freundin übernachten. Die Nachricht für Markus lag gut sichtbar auf dem Sekretär neben der Tür.
    Ein letztes Mal musterte sie ihr Spiegelbild, ehe sie die Schlüssel nahm und hinaus ins Freie trat. Es war spürbar kühler geworden, und sie zog den Gürtel ihres Mantels ein Stück enger um ihre Taille.
    Sabine erreichte die große Doppelgarage, und kurze Zeit später glitt der dunkelblaue BMW in die einsetzende Dämmerung. Sie hatte die Fahrtzeit auf 15 Minuten geschätzt, doch der Verkehr war dichter als erwartet. Nur langsam kam sie in dem zäh dahinfließenden Strom voran.
    Gegen 17.40 Uhr parkte sie den Wagen in der Hochhaussiedlung in Essen Horst, circa 80 Meter vom Hauseingang entfernt, stieg aus und machte sich auf den Weg. Mit jedem Meter verringerte sich ihre anfängliche Entschlossenheit und wich starkem Unbehagen. Dann war sie am Ziel, Hausnummer 335. Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Sie stieg die Stufen zum Eingangsbereich empor und verharrte vor dem großen Klingelschild. Es brauchte nur Sekunden, um den richtigen unter den 30 Namen zu finden. Schon wieder hatte sie Glück, denn in solch einer Gegend war es nicht unbedingt üblich, seinen Namen auf der Schelle zu vermerken. Anders als erwartet ließ sich die Haustür jedoch nicht einfach aufdrücken.
    Sabine wollte gerade auf eine

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