Die Eisbärin (German Edition)
Raum wurde jedoch nur spärlich erhellt.
„Mein Gott, wie lange muss die schon da liegen“, murmelte er und starrte ungläubig auf die schwarz verfärbte Leiche. Dann erfasste er mit professionellem Blick den Leichnam, betrachtete und speicherte sämtliche Informationen. Den geöffneten Knopf des Hemdes, die verschlissenen Sohlen der Schuhe, die golden schimmernde Uhr.
„Gürtel und Reißverschluss der Hose sind geöffnet, siehst du?“
„Ja, du hast recht. Und da, die linke Brust.“
Jennifer Bergmann leuchtete mit der Taschenlampe auf jene Stelle des Körpers, die, abgesehen vom Kopfbereich, als einzige von einer größeren Anzahl an Maden befallen war.
„Ja, könnte auf eine Wunde hindeuten“, antwortete Günther Klein. Nach einer Weile fuhr er fort: „Dazu würden auch die Flecken dort auf dem Boden passen.“ Nun war er es, der den Lichtkegel der Taschenlampe auf einen Bereich des Teppichs lenkte, auf dem eine Reihe kreisrunder dunkler Flecken auszumachen waren.
Er betrachtete den Rest des Raumes und wurde von großem Unbehagen ergriffen. In den nunmehr 15 Jahren, die er beim Kriminalkommissariat 11 für Brandstiftungen, Sexual- und Tötungsdelikte zuständig war, hatte er einen ausgeprägten Instinkt für Gewaltverbrechen entwickelt. Dieser schlug nun mit großer Heftigkeit an.
Mit den behandschuhten Fingern strich er über eine Art dunklen Schaumstoff, mit dem sämtliche Wände und die Decke des Schlafzimmers verkleidet waren. Selbst auf der Innenseite der Tür haftete das sonderbare Material.
Klein bemerkte, wie der beißende Geruch langsam begann, die ausströmenden Mentholdämpfe der Salbe zu überlagern. Er bedeutete seiner Kollegin, mitzukommen, und schritt langsam zurück zur Wohnungstür, jedoch nicht ohne auf dem Weg dorthin so viele Eindrücke wie möglich aus der Wohnung in sich aufzunehmen und abzuspeichern. Er wusste, dass es niemals eine zweite Chance für einen ersten Eindruck gab. Das galt für Situationen im Alltag, für Menschen, aber insbesondere galt es für kriminalistische Tatorte.
Im Hausflur sahen sich die beiden Ermittler in die Augen.
„Was denkst du?“, fragte Klein und achtete dabei auf einen vertraulichen Flüsterton.
„Ich denke, dass ich das Gleiche denke wie du“, antwortete Bergmann ebenso leise. „Um wen auch immer es sich da drin handelt, derjenige ist sicherlich nicht einfach tot aus dem Bett gefallen.“
„Du hast recht, das sehe ich genauso. Wir haben es hier mit einem Tatort zu tun. Ich rufe die KTU an. In der Zwischenzeit reden wir mit Frau Gerscher und befragen die anderen Nachbarn. Irgendwer wird doch wissen, wer dort gewohnt hat.“
„Gut, ich sage den Kollegen Bescheid. Jemand muss die Tür bewachen, während wir weg sind.“
Die Ermittler hatten gerade ihre Befragungen in den Wohnungen der nächsthöheren Etage beendet, als gegen 14.50 Uhr Stimmen durch den Hausflur hallten.
Zurück in der fünften Etage, erkannten sie Klaus Sperber und sein fünfköpfiges Team, das mit der umfangreichen Ausrüstung bereits den gesamten Flur in Beschlag genommen hatte.
Klaus Sperber war mit 53 Jahren etwa gleich alt wie Klein. Die beiden Männer hatten sich vor über 30 Jahren kennengelernt. Damals arbeiteten sie zusammen als Streifen- und später als Zivilpolizisten, bis Klein einen Unfall hatte und zur Kriminalpolizei wechselte. Zwei Jahre später begann Sperber, für das Landeskriminalamt in Düsseldorf zu arbeiten. Seine Aufgabe war es, das eingesandte Spurenmaterial zu untersuchen und auszuwerten. Im Laufe der Jahre war er auf diese Weise zu einem exzellenten Fachmann im Bereich der Tatortarbeit geworden, er war geradezu eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Vor sieben Jahren jedoch hatte es ihn wieder an die Front gezogen, wie er es nannte. Sperber kehrte nach Essen zurück, wo ihm die Leitung der KTU, der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle, übertragen wurde.
„Hallo, Klaus“, begrüßte Klein den knapp zwei Meter messenden Kriminaltechniker, der gerade den korrekten Sitz seines Spurenschutzanzuges überprüfte.
„Hallo, Günther“, erwiderte er den Gruß und gab Klein einen kräftigen Händedruck.
„Warum zum Teufel habe ich eigentlich nicht so hübsche Mitarbeiter?“, wandte er sich in gespielter Enttäuschung an Bergmann und schüttelte auch ihr die Hand.
Sie gab zurück: „Du und deine Jungs, ihr seht einfach zauberhaft aus in euren weißen Kostümen. Zum Anbeißen.“
„Wir waren bereits drin“, lenkte Klein das Gespräch
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