Die eisblaue Spur
Frauen
präsentierten, sich langsam und aufreizend streichelten und an
ihren Perlenketten knabberten, die sie aus unerfindlichen
Gründen nicht abgelegt hatten. Dóra hatte Matthias
damit aufgezogen, was für ungewöhnliche
Nachrichtensendungen man in Deutschland hätte, und in
regelmäßigen Abständen zu dem Sender geschaltet, um
zu überprüfen, ob es etwas Neues gab.
Dóra probierte die beiden
Nummern von Arnar Jóhannesson – eine Festnetznummer,
bei der niemand ranging, und eine Mobilnummer, aber das Handy war
entweder ausgeschaltet oder hatte keinen Empfang. Dóra
überlegte, ob sie in der Entzugsklinik Vogur anrufen sollte,
beschloss jedoch, damit zu warten, bis sie die restlichen
Mitarbeiter abgeklappert hatte. Auf der Liste standen nur noch zwei
Namen. Die erste Person ging nicht ans Telefon, und Dóra
wählte die Nummer der zweiten. »Drück mir die
Daumen!« Es klingelte dreimal, dann antwortete eine tiefe,
nicht besonders freundliche Männerstimme. »Ich wollte
fragen, ob du mir was über die Herkunft der Knochen sagen
kannst, die wir im Bürogebäude gefunden haben. Das ist
sehr wichtig. Die Polizei ist im Camp und sucht nach den
verschollenen Männern. Sie müssen ausschließen
können, dass die Knochen von Bjarki oder Halldór
stammen. Es würde die Sache erheblich voranbringen, wenn wir
erklären könnten, wie sie dorthin gekommen sind.«
Immerhin war Dóra schon wesentlich weitergekommen als bei
den anderen Telefonaten.
»Hm, die Knochen.«
Der Mann klang ernst. »Die sind nicht von Bjarki oder
Halldór. Das kannst du der Polizei sagen.«
»Das wird ihnen wohl nicht
genügen. Ich brauche eine vernünftige Erklärung,
damit die Ermittlungen nicht durch eine Knochenuntersuchung
verzögert werden. Dadurch würde sich auch die Suche
verzögern.« Das war eine glatte Lüge. Die Leute,
die die Knochen untersuchten, waren andere als die, die das Gebiet
durchkämmten. »Es könnte sehr wichtig für
deine Kollegen sein. Wenn sie irgendwo Unterschlupf gefunden haben,
sind sie vielleicht noch am
Leben.«
Erst drang nur schweres Atmen
durch den Hörer, dann begann der Mann, langsam und
eindringlich zu sprechen. Dóra hatte keinen Zweifel, dass er
die Wahrheit sagte. »Wir haben ein Grab entdeckt. In dem
Gebiet, wo wir Pisten für den Bohrwagen anlegen
sollten.«
»Und in diesem Grab waren
die Knochen?« Dóra wedelte mit der Hand vor
Matthias’ Gesicht herum, um ihm zu signalisieren, dass ihre
Telefonate offenbar endlich von Erfolg gekrönt
waren.
»Ja, in einer Art
Fellsack, unter einem Haufen Steine.«
»Ein Steingrab. Wie kommt
es, dass die Knochen noch heil waren?«
»Die Steine waren nicht
sehr groß. Die Knochen müssen in dem Sack gut
geschützt gewesen sein.«
»Wo genau war das?
Lässt sich die Stelle wiederfinden?«
Der Mann lachte trocken.
»Ja, klar. Aber da ist jetzt eine Piste. Es war am Ende des
Weges, genau da, wo jetzt der Bohrwagen steht.«
Dóra verdrängte das
Bild von dem Fellsack aus ihrem Kopf und versuchte, sich auf das
Gespräch zu konzentrieren. »Was habt ihr mit dem
Fellsack gemacht?«
»Weggeworfen. Der war
ziemlich ekelhaft, wahrscheinlich ist die Leiche darin verrottet.
Und es waren Löcher drin, durch die Füchse reingekommen
sein müssen. Der Steinhaufen war nicht besonders groß,
die Viecher konnten sich leicht durch die Ritzen zwängen.
Jedenfalls haben wir den Sack weggeworfen.«
»Wo?«
»Wir haben den Müll
immer in einem großen Container neben dem Wohntrakt gesammelt
und regelmäßig an einer bestimmten Stelle, die man uns
zugewiesen hatte, ausgeleert. Wenn ich mich recht erinnere, ist er
in der Zwischenzeit geleert worden.«
Vielleicht bestand ja noch
Hoffnung, den Fellsack zu finden. Friðrikka oder
Eyjólfur konnten sie bestimmt zu der Müllkippe
führen. »Und in dem Sack waren nur Knochen? Keine
Kleidung oder irgendwelche Dinge, die Aufschluss über die
Identität des Toten geben könnten?«
»Doch, Haare. Aber die
hätten sowohl von einer Frau als auch von einem Mann stammen
können. Sie waren tiefschwarz und mittellang. Der Farbe nach
zu urteilen von einem Grönländer. Und ein paar
Stoffreste, aber da konnte man nicht mehr erkennen, was für
Kleidungsstücke das mal waren.«
»Habt ihr die Dorfbewohner
nach dem Grab gefragt? Oder – habt ihr ihnen die
Möglichkeit gegeben, es zu verlegen?«
»Selbstverständlich«,
sagte der Mann leicht gereizt. »Wir sind ins Dorf gefahren
und haben versucht, was über das Grab in
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