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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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im Ausland um ein Kleinkind zu
kümmern. 
    »Nee, wir wollen ihn doch
gar nicht mitnehmen«, sagte Gylfi triumphierend, sicher,
seine Mutter nun überzeugt zu haben. »Er bleibt bei dir.
Wir fahren nur zu zweit.«
    Dóra öffnete den
Mund, klappte ihn aber sofort wieder zu. Der
grönländische Polizist, der sie im Camp verhört
hatte, kam die Treppe herauf. »Gylfi, ich rufe dich
später wieder an, wenn ich weiß, wann ich nach Hause
komme.« Sie legte auf und rutschte von ihrem Barhocker. Der
Mann machte kein fröhliches Gesicht. Er kam zu ihr und
grüßte sie mit einem kurzen Kopfnicken.
    »Würden Sie bitte die
Gruppe zusammentrommeln und allen sagen, dass sie packen
sollen.« Dóra wurde von der irrealen Hoffnung
durchzuckt, dass sie jetzt nach Hause geschickt würden.
»Sie müssen mit uns nach Kaanneq
fahren.«
    Die Hoffnung, an etwas anderes
zu denken als an die unerträgliche Dunkelheit, die Einsamkeit
und die sanitären Verhältnisse im Camp, schwand dahin.
Dóra musterte die langen Flatterärmel ihrer Bluse. Das
Oberteil passte schon nicht ins Hotel, aber im Camp wäre es
völlig lächerlich. »Darf ich mich vorher noch
umziehen?«

29.
Kapitel
    23. März 2008
    »Ich halte das nicht aus.
Ich muss nach Hause!« Friðrikka starrte wieder aus dem
Fenster des Konferenzraums und murmelte vor sich hin. Die Stimmung
war angespannt. Draußen war es windstill, aber das Wetter
sollte sich verschlechtern. Der strahlend weiße Schnee
glitzerte im milden Tageslicht, doch sobald die Dunkelheit
hereinbräche, würde die Natur ihr wahres Gesicht zeigen.
In diesen Gefilden war der Kampf ums Überleben hart, und nur
die Starken kamen durch. »Sie können doch nicht
darüber bestimmen, ob ich hierbleibe oder fahre. Ich bin
Isländerin. Die müssen mich doch nach Hause
lassen!«
    Eyjólfur saß auf
dem Fußboden und lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand.
Wenn er nicht wie wild auf seinem Kaugummi herumgekaut hätte,
hätte man annehmen können, dass er schläft.
Friðrikka und er hatten es am schlechtesten aufgenommen, dass
sie zurück ins Camp mussten. Die anderen waren zwar auch nicht
begeistert gewesen, hatten es aber stillschweigend hingenommen und
ihre Sachen gepackt. Es gab keine Alternative. Die Polizei hatte
sie darüber informiert, dass sie ein Ausreiseverbot
verhängen könnte, falls sie Anstalten machten, abzuhauen
oder sich von einem Flugzeug abholen zu lassen. Daher war es das
einzig Vernünftige, die Anweisungen der Polizei zu befolgen
und ihre Fragen zu beantworten. Dóra hatte eine kleine
Ansprache gehalten und betont, dass sie immer daran denken sollten,
dass sie nichts zu verbergen hätten, sie seien nicht im Camp
gewesen, als Usinna verschwunden war oder ihre Knochen entdeckt
worden waren, und auch nicht, als die Bohrmänner verschwunden
waren. Sie hätten alle ein Interesse daran, dass Oddný
Hildurs Schicksal so schnell wie möglich aufgeklärt
würde, und das sei nur durch die polizeilichen Ermittlungen
möglich, daher sollten sie sich mit diesen Unannehmlichkeiten
abfinden. Wenn alles überstanden wäre, könnten sie
beruhigt nach Hause fahren. Dóras Rede bewirkte dasselbe wie
Reden im Allgemeinen: Diejenigen, die sowieso derselben Meinung
waren, stimmen zu, aber auf Eyjólfur und Friðrikka hatte
sie kaum Einfluss. Beide wollten nicht zurück in die
Einöde – er wegen seiner beruflichen Verpflichtungen,
und sie, weil sie es nervlich nicht mehr aushielt. 
    »Mir ist wirklich nicht
klar, was wir hier machen sollen.« Alvar wischte sich ein
paar winzige Schweißperlen von der Stirn. Es war heiß
und stickig im Raum, und ihre Versuche, die Heizung
herunterzudrehen, blieben erfolglos. Draußen wurde es
wärmer. Das Gebäude schien genauso viele Probleme mit dem
Abkühlen wie mit dem Aufheizen zu haben. »Ich
könnte ihnen ja suchen helfen, wenn sie mich lassen
würden. Dann hätte man wenigstens was zu tun.« Sie
hatten beobachtet, wie ein paar Männer in dicken
Winteroveralls mit zwei Hunden an der Leine in den verharschten
Schnee hinausgegangen waren.
    »Ich glaube, die wollen
nur mit uns reden«, sagte Dóra. »Wahrscheinlich
wissen sie jetzt, von wem die Knochen in den Schreibtischschubladen
stammen.« Dóra hatte der Polizei von ihrem Telefonat
mit dem Bergtækni-Mitarbeiter erzählt. Die Korkpinnwand
hing noch neben der Kaffeemaschine, aber die Halskette war
verschwunden. Das beeinträchtigte zwar den Wahrheitsgehalt der
Geschichte, aber die Polizei schien dennoch mit den

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