Die eisblaue Spur
davon.«
»Kann es sein, dass das
Kraftwerk kein Öl mehr hat? Dass es deshalb ausgefallen
ist?« Dóra reckte sich nach der karierten Gardine vor
dem Fenster in der Kaffeenische. Sie wollte sich davon
überzeugen, dass es draußen noch nicht
stürmte.
»Nein, undenkbar«,
antwortete Friðrikka, »es ist ja noch sehr lange bis zum
Frühling, und wenn jetzt schon kein Öl mehr da wäre,
müsste sich jemand schwer verkalkuliert
haben.«
Es war bestimmt ein komisches
Gefühl, sich nur im Sommer auf regelmäßige
Warenlieferungen verlassen zu können. Die Dorfbewohner mussten
schon im Spätsommer Pläne für den Winter machen. Wie
Dóras Einkaufsliste wohl aussehen würde, wenn sie unter
solchen Bedingungen leben müsste? Die Hütte mit dem
Kraftwerk war in Sichtweite, aber Dóra konnte die
Männer, die mit Taschenlampen und Werkzeugkästen
bewaffnet dorthin gegangen waren, nicht sehen. Der Wind hatte
begonnen, den Schnee aufzuwirbeln, und Dóra erschauerte bei
dem Gedanken, nach draußen gehen zu müssen.
»Wie war es eigentlich,
hier zu arbeiten?«, fragte sie die anderen. »Mir kommt
das schon alles ziemlich speziell vor ...«
»Ich war ja immer nur kurz
hier«, sagte Eyjólfur beiläufig.
»Länger als eine Woche hätte ich das nicht
ausgehalten.« Die Antwort überraschte Dóra nicht;
der IT-Spezialist war noch jung und hatte bestimmt ein
ausgefülltes Privatleben. Hier drehte sich alles
tagtäglich nur um die Arbeit.
Friðrikka zuckte mit den
Schultern und musterte ihre Zehen. »War schon in
Ordnung.« Sie atmete geräuschvoll durch die Nase ein.
»Es ist natürlich anstrengend, am Arbeitsplatz zu wohnen
und nur Kollegen um sich zu haben, aber wenn man sich mal dran
gewöhnt hat, ist es okay. Das Gehalt war gut und hat einen
für die Einsamkeit entschädigt. Außerdem bin ich
Single und habe keine Kinder.«
»Aber aufgehört du
hast trotzdem«, sagte Dóra, »darf ich fragen,
warum?« Der junge Mann interessierte sich plötzlich
demonstrativ für den kleinen Kühlschrank und bückte
sich, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Man könnte sagen,
die Stimmung hat sich verändert.« Die Frau strich sich
eine rote Locke, die ihr in die Stirn gefallen war, hinters Ohr.
»Als wir vor ungefähr einem Jahr herkamen, lief alles
ganz professionell. Der Kontakt unter den Kollegen war völlig
normal, aber die Stimmung hat sich bald verschlechtert. Am Ende
konnte ich mir einfach nicht vorstellen, noch länger hier zu
bleiben.« Ihr Gesicht überzog sich mit einer leichten
Röte, aber sie reckte das Kinn und sprach konzentriert weiter.
»Ich war nicht überrascht, als ich gehört hab, dass
was passiert ist. Das musste so kommen.« Sie wich
Dóras Blick aus. »Das Camp ist ... ein unheilvoller
Ort.« Hastig fügte sie hinzu: »Und das ist nicht
nur meine Meinung, falls du das glaubst.«
»Man darf sich doch
bestimmt eine Cola nehmen«, tönte Eyjólfur und
richtete sich mit einer Dose in der Hand wieder auf. »Ich
sterbe vor Durst, hier ist alles voll mit Getränken. Die Cola
wird ja wohl nicht vergiftet sein.«
»Bist du derselben Meinung
wie Friðrikka?«, fragte Dóra, als Eyjólfur
die Metalllasche der Dose öffnete und einen Schluck trank.
»Glaubst du auch, dass das hier ein unheilvoller Ort
ist?« Dóra unterdrückte ihr
überwältigendes Verlangen nach Cola. Sie mussten ja nicht
beide krank werden. Besser, sie wartete, ob Eyjólfur
zusammenbrach, bevor sie der Versuchung nachgab.
Eyjólfur trank einen
großen Schluck und seufzte genüsslich, bevor er
antwortete: »Nö, kann ich nicht behaupten.« Er
fixierte Friðrikka, während er weitersprach. »Orte
sind nicht gut oder schlecht. In solche Kategorien kann man nur
Menschen einteilen. « Er hob die Dose, so als wolle er mit
der Geologin anstoßen. »Meinst du
nicht?«
Friðrikka antwortete nicht
sofort. Sie wich dem grinsenden Blick des jungen Mannes voller
Verachtung aus und starrte gegen die weiße Wand. »Kommt
aufs selbe raus. Vielleicht habt ihr den Ort mit euren
Machenschaften verdorben.«
»Könntest du dich ein
bisschen klarer ausdrücken?«, fragte Dóra. In
ihrem momentanen Zustand war sie wirklich nicht in der Lage,
zwischen den Zeilen zu lesen.
»Ach, das war doch
völlig harmlos«, entgegnete Eyjólfur.
»Friðrikka hat einfach aufgegeben. Sie hatte nicht die
Nerven und auch nicht den Humor, den man unter solchen Bedingungen
braucht. Der Ort ist völlig normal, auch wenn die
Arbeitsverhältnisse schwierig sind. Solche Arbeitsplätze
sind
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