Die eisblaue Spur
denken, als
alles noch so war, wie es sein sollte. Bis vor kurzem hatte er
überhaupt nicht mehr an die Frau gedacht, die er geliebt
hatte, und nur ganz selten an seine Tochter und seinen Sohn, die
ebenfalls verloren
waren.
Der Jäger kämpfte sich
durch den tiefen Schnee. Diese Fremden hatten alte Wunden
aufgerissen, Erinnerungen an seinen Sohn wachgerufen, in den er so
viele Hoffnungen gesetzt hatte – Hoffnungen, die so
groß waren, dass sie einfach enttäuscht werden mussten.
Igimaq konnte sich noch gut an den kleinen Fuß des
Neugeborenen erinnern, der unter dem Tuch hervorlugte; die dicke,
breite Fußsohle ließ darauf schließen, dass der
Kleine eine glänzende Zukunft vor sich hatte. Doch daraus
wurde nichts, ebenso wenig wie daraus, dass seine Ehefrau sich nach
einer erfolgreichen Jagd liebevoll um Igimaq kümmerte, wie sie
es versprochen hatte. Trotzdem hatte er stets seine Pflicht
erfüllt, hatte ihr zwei gesunde Kinder geschenkt und
dafür gesorgt, dass immer genug zu essen da war. Den Jungen
hatte er vergöttert, aber so, dass der es nicht merkte. Ein
guter Jäger und echter Mann musste bestimmte Lektionen lernen
und schwierige Erfahrungen machen, sonst würde er nie etwas
über das Zusammenspiel von Mensch und Natur lernen. Aber das
war letztlich alles nicht mehr wichtig. Seine Frau und seine beiden
Kinder waren nicht mehr bei ihm. Seine Tochter lebte nicht mehr,
und seine Frau und sein Sohn waren mehr tot als lebendig. Sie
würden sich nie aus den Fesseln des Alkohols befreien
können. Für Igimaq waren sie ebenso tot wie seine
Tochter.
Er näherte sich der
Schneewehe, hinter der er seinen Schlitten versteckt hatte, und
hörte das regelmäßige Atmen der Hunde. Sie waren
nach den Strapazen des Tages müde, aber nur einer von ihnen
schlief. Er hatte sich zusammengerollt, den Schwanz auf der
Schnauze, um seine Nase vor der Kälte zu schützen. Die
anderen Hunde hoben die Köpfe und beobachteten den Jäger
aufmerksam. Sie standen auf, einer nach dem anderen, und da
erwachte der Schlafende endlich. Sofort sprang er hoch und knurrte
leise. Das war nicht gegen den Jäger gerichtet, sondern sollte
die anderen Hunde daran erinnern, dass er der Anführer war.
Vielleicht brachte das Tier auch nur seine Verärgerung
über die eigene Nachlässigkeit und Erschöpfung zum
Ausdruck. Und das nicht ohne Grund, denn seine Tage waren
gezählt. Er wurde zu schnell müde, und obwohl er noch
relativ jung war, wirkte er alt. Der Jäger wusste nicht,
warum. Vielleicht war der Hund einfach einer von denen, die im
besten Alter Gelenkschmerzen bekommen. Oder die Kämpfe um die
Anführerschaft zollten ihren Tribut. Wenn er weg war,
würden die Hunde wieder kämpfen, und der Stärkste
und Klügste würde als Sieger hervorgehen, mit dem
Geschmack des Blutes seiner Kameraden im Maul. Der Jäger
betete, dass diese Auseinandersetzung ihn nicht weitere Hunde
kosten würde, wie es manchmal vorkam.
Er sah den Leithund an und
erkannte in seinen aufgeweckten Augen, dass er wusste, was ihn
erwartete. Wenn das Tier sprechen könnte, hätten sie
darüber diskutieren können, und der Mann hätte dem
Hund erklärt, warum er sich von ihm trennen musste. Es war
besser, als Anführer zu sterben, als sich vom Rudel fortjagen
zu lassen. Der Jäger hatte nie einen besseren Leithund gehabt.
In ihm hatte er das Tier gefunden, von dem sein Großvater ihm
als Kind erzählt hatte, dass es irgendwo auf ihn warte: ein
Hund, mit dem er sich ohne Worte verständigen könne. Ein
Hund, der ihn verstehen und ihm in schwierigen Zeiten beistehen
würde. Der Igimaq ohne Zögern in den Tod folgen
würde.
Etwas in den Augen des Hundes
veranlasste den Jäger dazu, mit der Durchführung seines
Plans noch zu warten. Der Frühling stand bevor, vielleicht
würde der Hund in der warmen Sommerbrise wieder zu
Kräften kommen. Vielleicht würde er stärker werden,
wenn Igimaq die Futterration erhöhte. Der Jäger musste
mehr Fleisch besorgen. Daran mangelte es im Augenblick nicht. Der
Leithund schien die Überlegungen des Jägers zu verstehen,
denn er warf sich in die Brust und sah die anderen Hunde scharf an.
Unterwürfig legten sie sich hin, und der Leithund schaute zu
seinem Herrn, um sich zu vergewissern, dass er gesehen hatte, wie
er das Rudel dirigieren konnte. Der Jäger lächelte dem
Tier zu, so dass seine Zähne in seinem dunklen Gesicht
aufblitzten. Er drehte sich um und blickte zurück zu den
grünen Häusern in der Ferne. Er konnte diese
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