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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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machte eine kleine Pause
und sprach dann weiter, als die Männer ihn nur anglotzten.
»Haben Sie die Männer irgendwo gesehen? Sie könnten
ins Dorf gekommen sein und nach einer Transportmöglichkeit
gefragt haben.«
    Dóra hielt ihnen ein
ausgedrucktes Foto der beiden Bohrmänner hin. Darauf
saßen sie nebeneinander im Essraum, mit roten Köpfen und
in dicken Wollpullovern, vor ihnen auf dem Tisch zwei beladene
Teller. Die Jäger machten keine Anstalten, das Foto in die
Hand zu nehmen. »Diese hier«, sagte Dóra und
tippte auf die Köpfe der Männer auf dem Foto.
    Immerhin schauten die
Grönländer das Bild nun interessiert an. Der in dem Boot
kam sogar näher, um besser sehen zu können. Dóra
hielt ihm das Bild vorsichtig hin, und er nahm es in die Hand. Ohne
etwas zu sagen, inspizierte er das Foto, nickte ruhig und sagte
dann auf Grönländisch etwas zu seinem Freund. Daraufhin
nahm dieser das Bild, betrachtete es eine Weile und gab es
zurück. Das Foto war jetzt voller Blut, aber das ignorierte
Dóra einfach. Das Interesse der Männer würde
bestimmt schnell wieder nachlassen, wenn sie jetzt das Gesicht
verzog.
    Die Grönländer warfen
sich einen Blick zu, schauten zu den Fremden und schüttelten
gleichzeitig den Kopf. »Nicht hier«, sagte der auf dem
Steg. Sein Dänisch schien ebenso gut zu sein wie Dóras
Schuldänisch.
    Finnbogi lächelte breit.
Anscheinend hielt er dies für einen großen Schritt bei
seiner Kontaktaufnahme mit den Einheimischen. »Können
Sie uns jemanden im Dorf nennen, der uns helfen könnte? Gibt
es hier eine Polizeiwache, ein Gemeindebüro oder eine
Krankenstation?«
    Wieder schüttelten die
Männer den Kopf. »Nicht hier«, wiederholte der auf
dem Steg.
    Dóra wusste nicht, ob er
immer noch die Bohrmänner meinte oder sich auf die
öffentlichen Einrichtungen im Dorf bezog. Sie stieß
Matthias mit dem Ellbogen an, damit er den Männern die
Gegenstände zeigte, die sie mitgenommen hatten – den
durchlöcherten Knochen mit dem Lederband und den Tupilak.
Matthias holte sie heraus und zeigte sie den Männern, ohne sie
aus der Hand zu geben. Beim Anblick des durchlöcherten
Knochens schraken sie zurück und versuchten, ihre Verwunderung
zu verbergen. Der Tupilak schien sie nicht sonderlich zu
interessieren, bis sie nähergekommen waren, um ihn genauer zu
inspizieren. Der Mann im Boot kletterte trotz seiner dicken
Kleidung mit geschmeidigen Bewegungen auf den Steg. Dann warfen sie
sich fragende Blicke zu und sprachen miteinander. Der Mann auf dem
Steg drehte sich zu Matthias und fragte: »Wo haben Sie das
her?«
    Da Matthias kein Wort verstand,
sprang der Arzt ein: »Was ist es? Kennen Sie diese
Gegenstände?«
    »Wo haben Sie das
her?«, wiederholte der Jäger. Sein Tonfall war bestimmt,
und er sah Matthias eindringlich an. »Wo haben Sie das
her?« Er streckte die Hand aus und wollte die
Gegenstände anfassen. Dóra war klar, dass sie sie dann
nicht mehr zurückbekommen würden.
    »Ich glaube, wir kriegen
hier keine Hilfe«, sagte der Arzt auf einmal ruhig auf
Isländisch und lächelte die Männer an. »Sie
wollen uns nicht helfen. Vielleicht ist ihr Dänisch auch nicht
gut genug.«
    Obwohl Dóra nicht
länger als unbedingt nötig im Nebel auf dem Steg stehen
mochte, wollte sie so schnell nicht aufgeben. »Auf dem Eis.
Wir haben die Sachen auf dem Eis gefunden.«
    Die Männer starrten sie an.
»Wo? Wo auf dem Eis?«, fragte derselbe Mann, der vorher
schon gesprochen hatte, und zeigte zum Ufer. »An Land oder
auf dem Meer?«
    Dóra war so
orientierungslos, dass sie sich zusammenreißen musste, nicht
einfach irgendwohin auf den Ozean zu zeigen. Sie versuchte, sich im
Geiste den Weg vom Steg zum Ufer und das Land beidseitig der
Anhöhe vorzustellen. »Da! Bei den Bergen.«
Für eine genauere Beschreibung der Gegend beim Bohrwagen
reichte ihr Dänisch nicht
aus.         
    Die Jäger sagten nichts,
betrachteten nur erschrocken die Gegenstände und traten einen
Schritt zurück. »Gehen Sie weg«, sagte der
Wortführer dann. »Wir arbeiten.« Er winkte mit
beiden Händen, zum Zeichen, dass sie sich davonmachen sollten.
»Gehen Sie.« Das rote Fleisch des Seehunds, der vor ihm
auf dem Steg lag, schimmerte, und Dóra roch plötzlich
den eisenähnlichen Blutgeruch, der von dem Kadaver ausging und
den frischen Meeresgeruch überdeckte. Das reichte, um den Mann
beim Wort zu nehmen und zu gehen. Matthias und Finnbogi folgten
ihr, ohne sich von den Männern zu
verabschieden. 
    Sie hörten,

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